EXKLUSIV
Das Idol von Dino Ndlovu war Didier Drogba. Der Südafrikaner war ein großer Chelsea-Fan, aber bevor er nun heute in der Champions League gegen die Blues antritt, musste er richtig hart daran arbeiten, dass sein Traum wahr wird.
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Der 27-Jährige ist ein Schlüsselspieler bei Qarabag. Das bewies er unter anderem mit seinem Auswärtstor in Kopenhagen, das dem Team aus Aserbaidschan den erstmaligen Einzug in die Gruppenphase der Champions League ermöglichte. Sein Treffer war dermaßen bedeutend für das Land, dass er hinterher zu einem Treffen zu Staatspräsident Ilham Aliyev eingeladen wurde.
Heute nun geht es für den Stürmer vor 69.000 Zuschauern im Olympiastadion von Baku gegen Spieler wie Alvaro Morata, Eden Hazard und N'Golo Kante. Sein Weg zu diesem sportlichen Höhepunkt war allerdings alles andere als einfach, wie er Goal erzählte. Als Teenager übernachtete er auf der Bahnhofstoilette, nur um ein Probetraining absolvieren zu können.
"Ich habe auf der Straße mit dem Fußballspielen angefangen - wie viele Südafrikaner", sagte er. "Als 16-Jähriger bekam ich die Chance, in eine Nachwuchsakademie zu gehen, aber meine Mutter wollte mich nicht gehen lassen, weil sie nicht gerne alleine war, während mein Bruder zur Arbeit ging", fügte er hinzu.
"Bei den Platinum Stars erhielt ich eine weitere Gelegenheit. Sie haben ein Probetraining in meiner Heimatstadt abgehalten. Ich bin dort hingegangen und bin für die zweite Runde ausgewählt worden. Die fand aber in Johannesburg statt. Meine Mutter musste sich Geld für die Fahrt von einem Bekannten leihen", so Ndlovu.
GOAL"Ich bin dann für drei Tage nach Johannesburg gefahren, hatte aber kein Geld mehr. Deshalb wusste ich nicht, wo ich dort schlafen sollte. Ich habe mich in den Bahnhof geschlichen und dort drei Nächte auf dem Bahnhofsklo geschlafen. Das war es aber auch wert, denn sie haben mir danach einen Vertrag in der Jugendakademie der Platinum Stars angeboten", erzählte Ndlovu.
Das Geld zum Fenster rausgeworfen
"Sie haben viel Potenzial bei mir gesehen. Ich habe dann viele Tore für das Jugendteam geschossen, aber auch Probleme gehabt. Wenn man Profi wird und auf einmal ein großes Gehalt bekommt, verschwendet man das Geld. Ich habe mich nicht mehr auf das Fußballspielen konzentriert und meine Form hat sehr gelitten", so der Südafrikaner.
Inzwischen war er bei Mamelodi Sundowns unter Vertrag, wurde 2010/2011 aber an Bloemfontein Celtics verliehen - doch überzeugen konnte er nirgendwo. Der jugendliche Leichtsinn wurde Ndlovu beinahe zum Verhängnis.
"Ich habe die Konzentration verloren, dann nicht mehr viel gespielt, denn ich war meist mit Freunden unterwegs und habe viel Geld ausgegeben. 2011 hat der Klub dann meinen Vertrag nicht verlängert. Damals war meine Frau schwanger. Ich hatte keinen Job und ich war der einzige Verdiener, auch für meine Mutter", sagte Ndlovu.
"Das war der absolute Tiefpunkt. Ich habe mir dann gesagt, dass ich mich zusammenreißen muss. Mein Berater hat sich mit meiner Familie und mir hingesetzt und gesagt, dass ich Südafrika verlassen müsse. Dort habe ich es mir zu gut gehen lassen - und das hat verhindert, dass ich mein Potenzial voll ausschöpfen kann", meinte der Angreifer.
Aus dem fernen Israel kam schließlich ein Angebiot eingeflattert, das alles doch noch zum Guten wenden sollte. “Bnei Yehuda hat mich schon nach zwei Tagen Probetraining verpflichtet. In Israel habe ich überzeugt. Maccabi Haifa wollte mich dann haben und hat 1,5 Millionen Dollar für mich gezahlt. Die Zahlen, die in dem Vertrag von Maccabi Haifa standen, waren atemberaubend. Ich konnte das gar nicht glauben, dass sich innerhalb von nur anderthalb Jahren die Dinge vom Tiefpunkt zu solch einem Vertrag entwickelt hatten", sagte Ndlovu.
In Israel machte sich Ndlovu einen Namen, das ganz große sportliche Glück wurde es aber nicht. Von Anfang 2014 bis Sommer 2015 verlieh ihn Maccabi an zwei verschiedene Klubs aus der südafrikanischen Heimat. Dann wurde der Mittelstürmer an Anorthosis Famagusta verkauft - und in Zypern schlug er voll ein, traf in der ersten Liga wie am Fließband.
2016 stand dann schließlich Qarabag auf der Matte. "Ich wusste gar nicht, wer Qarabag ist. Die haben sich um mich bemüht, als ich in Zypern gespielt habe. Antalyaspor und Genclerbirligi aus der Türkei wollten mich ebenfalls haben, auch ein Klub aus Griechenland. Ich wollte aber Titel holen und nicht im Mittelfeld herumkrebsen, deswegen bin ich zu Qarabag gegangen", erklärt er.
Den Traum vieler Südafrikaner gelebt
"Wenn man jemanden in Südafrika, der dort Fußball spielt, fragt, was sein Traum ist, wird er immer sagen: 'In Europa in der Champions League und für die Nationalmannschaft spielen.' Aber sowas kann man sich nicht im Supermarkt kaufen, sondern muss hart dafür arbeiten. Jetzt kommt einer der besten Momente meiner Karriere", sagt Ndlovu.
Chelsea tritt zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte in Aserbaidschan an. An der Stamford Bridge siegten die Blues gegen den Double-Gewinner mit 6:0 am ersten Gruppenspieltag. Es ist die weiteste Entfernung, die der amtierende englische Meister jemals zurückgelegt hat, um ein Match der Königsklasse zu bestreiten.
Ndlovu gibt zu, dass er seit seiner Kindheit Chelsea-Fan ist. Im ersten Duell haben sich die Gäste seiner Meinung nach zu sehr beeindrucken lassen. Sie hätten die Chelsea-Spieler wie Stars und nicht wie Profi-Kollegen behandelt.
"Das erste Team, das ich mir genauer angeschaut habe, als ich jünger war, war Barcelona. Dann bin ich Chelsea-Fan geworden. Ich war ein großer Fan und bin es immer noch. Mir hat gefallen, dass Didier Drogba, ein Spieler aus Afrika, bei meinem Lieblingsteam gespielt hat", so Ndlovu.
Getty"Auch heute noch ist er mein Vorbild. Benni McCarthy und Drogba waren die Spieler, die ich als Jugendlicher am meisten bewundert habe. McCarthy war ebenfalls ein Vorbild für mich, denn er hat als Südafrikaner in Europa gut gespielt", so der Qarabag-Stürmer.
Sieg gegen Chelsea als Ziel
"Wir wollen die Spiele immer gewinnen. Wenn man auf ein Unentschieden aus ist, klappt das nicht. Wir denken nicht an ein Unentschieden gegen Chelsea. Wir wollen das Spiel gewinnen. Wir sind selbstbewusst genug, dass wir glauben, dass wir unser Spiel durchziehen und siegen können", sagt Ndlovu.
"Wir spielen zuhause, es sind 69.000 Karten schon verkauft worden. Es wird also eine heiße Atmosphäre im Stadion geben. Das, was an der Stamford Bridge passiert ist, ist normal für einen Neuling in der Champions League. Es war so etwas wie der erste Schultag für uns", erklärte er.
"Nach dem ersten Tag wird es normaler und man fühlt sich wohler. Wir hatten keine Angst vor Chelsea, aber zu viel Respekt. Wir haben sie wie Fernsehstars behandelt und nicht wie Profi-Kollegen. Wir waren wie Groupies", gestand er.
"Und das haben wir an diesem Abend mit vielen Gegentoren bezahlen müssen. Danach haben wir uns auf der großen Bühne wohler gefühlt und wussten, wer wir sind und welchen Fußball wir auf diesem Niveau spielen können. Wir haben gedacht: 'Wir können noch etwas in dieser Gruppe erreichen. Das ist noch nicht vorbei.' Wir wollten aus den folgenden beiden Spielen etwas holen", so Ndlovu.
"Aber auch mit viel Selbstbewusstsein wird das natürlich nicht einfach. Cesc Fabregas, Kante und Hazard - das sind Spieler, bei denen man denkt, dass man sie wegschieben kann, aber sie sind stark, schlau und schnell. Man kommt an den Ball und sie stehen einem direkt auf den Füßen und wollen ihn dir wieder abnehmen", berichtete der Südafrikaner von seinen Erfahrungen aus dem ersten Aufeinandertreffen mit Chelsea.
"Das ist etwas, das wir, die aus der Liga in Aserbaidschan kommen, gelernt haben. Es gibt gewisse taktische Ansätze, die man draufhaben muss, wenn man in der Champions League mithalten will. In den verbleibenden zwei Spielen werden wir uns mit Sicherheit besser schlagen", ist Ndlovu optimistisch.
Kein Trikottausch aus Angst vor dem Trainer
Er hätte nur allzu gerne sein Trikot mit einem Chelsea-Spieler getauscht, nachdem sein Traum, einmal an der Stamford Bridge aufzulaufen, wahr geworden war, aber er fürchtete sich nach der deutlichen Niederlage vor der wütenden Reaktion seines strengen Trainers Gurban Gurbanov. Der Qarabag-Angreifer möchte den Trikottausch nun in Baku nachholen - nachdem seine Mannschaft ein positives Ergebnis erreicht hat.
"Ich wollte entweder mit Eden Hazard oder Michy Batshuayi das Trikot tauschen, aber das Problem war, das der Trainer ein spezieller Charakter ist. Wir haben 0:6 verloren und deshalb habe ich mir gesagt: 'Jetzt kann ich nicht Trikots tauschen'", so Ndlovu.
"Ich habe mit beiden Chelsea-Spielern gesprochen. Ich habe ihnen gesagt, dass ich gerne ihre Trikots hätte, aber dass der Trainer richtig wütend wird, wenn ich nach einer 0:6-Niederlage mit einem Chelsea-Shirt in die Kabine komme. Ich konnte nicht tauschen, ich musste mein eigenes Trikot mit Respekt behandeln. Jetzt würde ich gerne am Mittwoch Trikots tauschen - wenn wir ein besseres Ergebnis erzielen", meinte der Stürmer.
GOALQarabags Qualifikation für die Champions League überraschte viele Fußball-Experten, aber für Ndlovu ist es keine große Sensation. Der Verein wird allerdings immer noch oft als Team ohne echtes Zuhause beschrieben, denn er kommt eigentlich aus der Agdam-Region, die immer noch unter dem Krieg um Bergkarabach leidet.
Ausländischen Spielern wie Ndlovu wird ein 20-minütiger Film auf DVD präsentiert, der die Klubgeschichte zeigt. Der Verein musste sein altes Stadion verlassen, da die Arena gleich mehrmals bombardiert worden war. Der Konflikt zwischen den von Armenien unterstützten Separatisten und der Minderheit aus Aserbaidschan ist immer noch nicht beendet. Rund 30.000 Menschen sollen schätzungsweise in diesem Konflikt ihr Leben verloren haben, mehr als eine Million Menschen mussten ihre Heimat verlassen.
Das Match gegen Chelsea wird nun in Baku ausgetragen, einer sicheren Stadt und einem beliebten Urlaubsziel in der Region. Ndlovu freut sich, dass er eine neue Kultur in seinem Klub kennenlernen durfte.
"Für mich ist es das beste Land, das sich ein Fußballer wünschen kann", sagte er. "Es ist eine große Stadt, ohne Baku gäbe es Aserbaidschan gar nicht. Die Zukunft des Landes ist Baku. Meine Familie findet es toll hier, meine Tochter geht hier zur Schule. Es ist ein sehr offenes Land. Die Kriminalitätsrate ist niedrig, es gibt keine Probleme hier. Es gibt nur Druck für mich, wenn ich für Qarabag spiele. Alles andere läuft richtig glatt", freute sich Ndlovu.
"Wir haben nie daran gezweifelt, dass wir es in die Champions League schaffen. Unser Trainer ist ein echter Typ, der immer dran glaubt. Wir sind als Team schon einige Zeit zusammen. Jedes Jahr tauschen wir nur ein oder zwei Spieler aus. In den letzten fünf Jahren hatten wir dieselbe Mannschaft - und deshalb auch wenig Zweifel", so der Angreifer.
"Auch als wir gegen Chelsea gespielt haben, wussten wir, dass es auf dem Platz Elf gegen Elf ist, auch wenn vielleicht ein Spieler von ihnen so viel verdient wie wir als Jahresetat haben. Wir wussten, dass wir es schaffen können. Man kann viel Geld haben, aber es geht darum, was auf dem Platz passiert", so Ndlovu.
"Es kommt auf den Kampf Mann gegen Mann auf dem Platz an. Wir freuen uns, dass wir diese Erfahrung machen dürfen. Wir haben keine Ziele, wir wollen einfach unser Bestes geben und nächstes Jahr noch besser werden. Es ist schön, wenn man es mit großen Spielern in großen Stadien in tollen Städten aufnehmen kann", sagte er.
Barcelona-Vergleiche in der Heimat
"Unser Spielstil wird zuhause immer mit dem von Barcelona verglichen: Wir wollen Ballbesitz haben und die Gegner stellen sich gegen uns hinten rein. Alle Stammspieler von uns sind Nationalspieler. Wir dürfen von Beginn an für unser Land ran. Ich denke, unsere Spieler sind hervorragend", meinte Ndlovu.
"Wir müssen keine Spieler verkaufen. Wir halten unser Team jahrelang zusammen. Es sind viele Spieler mit dabei, die schon sechs oder sieben Jahre hier sind. Sie bleiben, weil sie talentiert sind und hier die besten Gehälter der Liga gezahlt werden. Unsere Jungs kennen sich deswegen auf dem Platz alle gegenseitig in- und auswendig", ergänzte er.
Ndlovu hat nie mehr als zwei Jahre beim selben Klub verbracht. Nun steht er kurz davor, das letzte halbe Jahr seines Zweijahresvertrags bei Qarabag zu beginnen. Dem Südafrikaner stehen Gespräche über eine Vertragsverlängerung bevor und er ist bereit, länger in Aserbaidschan zu bleiben.
Unklare Zukunft
"Aktuell läuft mein Vertrag in sechs Monaten aus. Wir haben noch über nichts mit dem Klub gesprochen. Mein Trainer hat mir gesagt, dass er mit mir zufrieden ist. Nach den Weihnachtsferien werden wir uns mit dem Management zusammensetzen und schauen, was sie uns anbieten können", sagte Ndlovu.
"Auch wenn ich dann kein gutes Angebot erhalten sollte, kann ich sagen, dass ich die beste Zeit meiner Karriere bei Qarabag verlebt habe. Meine Familie ist glücklich hier. Wenn also das Angebot gut ist, würde ich gerne hier bleiben", fügte er hinzu.
Ein Siegtor gegen Chelsea würde dabei nicht nur den Highlight-Treffer gegen Kopenhagen in den Schatten stellen, sondern ihm außerdem eine exzellente Verhandlungsposition bescheren.