Es ist die Ruhe nach dem großen Sturm, der noch vor wenigen Wochen erst die karibischen Inseln malträtierte und später im us-amerikanischen Südosten auf Land traf. Irma, nicht selten medial als Jahrhunderthurrikan deklariert, hat sich verzogen. Florida, der Sunshine State, macht seinem Beinamen nach dem verheerenden Naturschauspiel wieder alle Ehre.
Ein seichtes Lüftchen umspielt die Blätter der unzähligen Palmen, die den Rand der Promenade säumen, die letzten Sonnenstrahlen am Horizont tauchen den Himmel in die Farbe geschmolzenen Goldes. Am Strand von Miami geht Tony Mamodaly spazieren, freundlich lächelnd, adonischer Körperbau, stolz seinen kleinen Sohn im Arm haltend. Wenig lässt vermuten, welch aufwühlenden Lebensweg der junge Mann beschritt, der ihn letztlich hierher trieb. Dorthin, wo er schließlich sein großes Glück fand.
Mamodaly wird als 16-Jähriger von Ralf Rangnick höchstpersönlich in die U17 der TSG 1899 Hoffenheim geholt, avanciert in der Kraichgauer Talentschmiede auf Anhieb zum Leistungsträger. Wie sich im Nachhinein herausstellt, fragte der DFB gleich zweimal bei seinem Klub an, plante, Mamodaly für die Nachwuchsauswahl zu berufen. Hoffenheim blockte die Gesuche des Verbandes ab.
"Ich spielte parallel Handball bei den Rhein-Neckar-Löwen und wurde auch dort für die Nationalmannschaft nominiert. Die Verantwortlichen der TSG nahmen mir übel, dass ich mich zunächst nicht komplett für den Fußball entscheiden wollte", begründet Mamodaly im Gespräch mit 11Freunde. "Das merkte ich auch in der nächsten Saison, als ich plötzlich außen vor war, obwohl mir die Verantwortlichen vorher zugesichert hatten, ich sei Leistungsträger mit Aussicht auf den Bundesliga-Perspektivkader."
Schottland-Klub klopft an
Aufgrund der Aussichtslosigkeit beim Bundesligisten wechselt Tony zum Karlsruher SC in die A-Jugend, wo er allerdings nach eigenen Angaben "mit Simon Zoller einen Konkurrenten hatte, an dem ich nicht vorbeikam." Nachdem Mamodaly letztlich doch mehr Spielzeit bekommt, flattert ein Angebot des schottischen FC Dundee ins Haus. Die Möglichkeit, sich über ein Engagement auf der Insel weiter für größere Vereine anzubieten.
"Trainer war Craig Levein, der spätere schottische Nationaltrainer. Er war sehr zufrieden und wollte mich haben", erinnert sich Mamodaly im 11Freunde-Interview und erzählt weiter: "Als ich wieder in Deutschland war, wartete ich fünf, sechs Wochen auf den Deal. Kurz vor Ende der Transferfrist erfuhr ich von der Vereinswebsite, dass der Klub Danny Cadamarteri, einen ehemaligen englischen U21-Nationalspieler, verpflichtet hatte. Ich vermute, dass er von Anfang an die Ideallösung war. Das hatte man mir allerdings nie kommuniziert."
Frei nach dem Motto "wenn eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere", zieht es Mamodaly zu Dynamo Dresden, wo er sich über die U23 bei den Profis anbieten soll. Ein zweijähriges Intermezzo, das der Offensivmann rückblickend als "reine Katastrophe" bezeichnet. Sein Verhältnis zum Trainerteam der Reserve ist zerrüttet, die Chance auf den Sprung nach oben versiegt in der sächsischen Metropole immer mehr.
Instagram / touns_Der einzige Lichtblick in dieser Zeit: Mamodaly, dessen Vater aus Madagaskar stammt, darf beim COSAFA-Cup für die madagassische Nationalmannschaft auflaufen, spielt vor 50.000 Zuschauern, trifft in vier Spielen dreimal und tauscht sogar das Trikot mit der damaligen Chelsea-Größe John Obi Mikel. "Für einen jungen Spieler war das natürlich großartig. Aber als ich wieder nach Dresden kam, machte sich das Trainerteam darüber lustig. 'Das nennst du Nationalmannschaft? Da könnte ich mit meinen 50 Jahren auch noch spielen‘", zitiert er den Dynamo-Coach.
Eine dünne, quasi nicht vorhandene Angebotslage, zwingt Mamodaly dazu, bei der SGD zu bleiben. Heimisch wird er im Elbflorenz aber nie. Er verrät: "Meinen Vertrag in Dresden hatte ich selbst ausgehandelt, weshalb ich relativ wenig verdiente und im Hotel wohnte. Als ich zur neuen Saison ins Hotel kam, hatte der Verein das Zimmer gekündigt, ohne mir Bescheid zu sagen. Meine persönlichen Sachen standen in der Abstellkammer."
Ein halbes Jahr später – Mamodaly hatte sich zwischenzeitlich eine Wohnung genommen – wird der FC Lorient auf den begabten Angreifer aufmerksam. Zwar soll er sich als Stürmer Nummer vier hinter unter anderem Kevin Gameiro anstellen, aber immerhin mal wieder eine Offerte, zudem eines Klubs aus der Ligue 1.
Statt eines Transfers nach Frankreich wird die Chronik des Scheiterns aber um ein weiteres Kapitel ergänzt. Lorient nimmt Abstand vom gebürtigen Mannheimer, eine Verletzung an der Patellasehne erschwert die Suche nach einem neuen Arbeitgeber zusätzlich. "Mir wurde bewusst, dass ich für den Fußball-Markt mittlerweile völlig uninteressant war. Es war hart. Ich habe lange in Dresden um meine Chance gekämpft, vielleicht auch zu lange", gesteht Mamodaly.
"Das Beste, was mir passieren konnte"
Als letzte Ausfahrt nimmt der Stürmer das VDV-Proficamp für vertragslose Spieler wahr, wo er auf die ehemaligen Bundesliga-Akteure Nico Frommer (Eintracht Frankfurt, VfB Stuttgart), Moses Sichone (1. FC Köln, Alemannia Aachen) und Christian Demirtas (Mainz 05) trifft. "Anfangs fühlte es sich an, als wäre ich am Ende angelangt. Aber das Camp war das Beste, was mir passieren konnte", erklärt Mamodaly, der sich unter den dortigen Trainern Christian Wück und Markus Anfang wieder Selbstvertrauen und den Glauben holt, es doch noch zu packen.
Tatsächlich scheint der Strohhalm VDV-Camp seiner Karriere die erhoffte Wendung zu verleihen. Michael Wiesinger, U23-Trainer beim 1. FC Nürnberg, lädt Mamodaly eine Woche vor Saisonbeginn zum Probetraining ein, wo er mit seinen Leistungen zu gefallen weiß. Und doch scheitert der Wechsel nach Franken. An Modalitäten, an einem unfähigen Berater. Mal wieder.
Tony fährt zu seinen Eltern und lebt wochenlang, wie er selbst sagt "am Rande der Depression. Ich wusste nicht mehr, warum ich morgens aufstehen sollte. Ich wusste nichts mit meinem Leben anzufangen." Dann verändert ein Anruf von Demirtas, den Mamodaly im VDV-Camp kennengelernt hatte, das Leben des einstigen Hoffenheim-Juwels schlagartig. "Er hatte vom geplatzten Wechsel gehört und fragte: 'Tony, hast du mal drüber nachgedacht, in die USA zu gehen? Da kannst du am College kicken und dir das Studium durchs Fußballspielen finanzieren'", schildert er.
Vom gescheiterten Profi zum Überflieger-Studenten
Ein Bekannter Demirtas‘ vermittelt Mamodaly an die St. Thomas University nahe Miami, wo nach abermaligen Komplikationen wegen einer fälschlicherweise nicht erteilten Spielberechtigung endlich alles abgesegnet wird. "Die USA war meine Wiedergeburt. Ich studierte Marketing, was meinen Horizont enorm erweiterte. Ich hatte so großen Spaß daran, dass ich als Wissenschaftliche Hilfskraft arbeitete und meinen Bachelor in zweieinhalb Jahren schaffte, mit 1,0. Parallel war ich Kapitän der STU Bobcats, unserer Unimannschaft, und der Coach gab mir volles Vertrauen", schwärmt er von seiner Zeit am College.
Mamodalys Ambition, Profi zu werden, verebbt. Dafür fasst er den Entschluss, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Mit Harvard und der Columbia University bieten ihm zwei der besten Universitäten der Welt einen Masterplatz an. Nach Start des Programms zum "Master of Business Administration", kurz MBA, an der Columbia in New York und Beendigung seiner aktiven Laufbahn 2016, zieht es den Deutsch-Madagassen zurück nach Florida, zurück nach Miami.
Dort gründet er eine Agentur für junge Fußballer, die es in Deutschland nicht schaffen. "Wir wollen den vielen jungen Spielern, denen es in ihrer Heimat so geht wie mir damals, eine neue Chance in den USA vermitteln. Ich habe im Fußballgeschäft so viel Scheiße gefressen, aber letztendlich hat mir der Fußball eine Tür geöffnet, mit der ich nie gerechnet habe. Jetzt kann ich anderen dabei helfen, einen ähnlichen Weg zu gehen. Das macht mich stolz und glücklich", so Mamodaly bei 11Freunde abschließend.
Und so flaniert er zufrieden, versöhnt mit seinem alten Leben, am Strand. In dem Wissen, dass nach stürmischen Zeiten auch wieder die Sonne scheint. Mit der Erfahrung, dass jeder vertanen Chance am Ende auch ein wenig Schönheit innewohnen kann.