INTERVIEW
Ein Transfer zur AS Monaco, Trainerwechsel von Leonardo Jardim zu Thierry Henry und zurück – Benjamin Henrichs blickt auf ereignisreiche Monate zurück, in denen er sich plötzlich im Abstiegskampf statt im Rennen um die Champions League wiederfand.
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Im Interview mit Goal und SPOX spricht der ehemalige Leverkusener exklusiv über die turbulente Saison der Monegassen, die Talentförderung des DFB und die anstehenden Aufgaben der U21-Nationalmannschaft.
Außerdem verrät Henrichs, wie er die Zusammenarbeit mit einer lebenden Legende wie Henry erlebt hat, was er von ihm lernen konnte und wie ihm der Weltmeister von 1998 Tricks aus den berühmten Joga-Bonito-Spots beigebracht hat.
Benjamin, Sie haben schon einige Spiele in der A-Nationalmannschaft gemacht und gelten in der U21 als gesetzt. Muss Ihr Anspruch nun sein, voranzugehen?
Benjamin Henrichs: Absolut, mein Anspruch ist es, mich als Führungsspieler zu zeigen und denjenigen zu helfen, die noch nicht so lange dabei sind. Schon in den letzten Jahren durfte ich beim DFB wertvolle Erfahrungen sammeln und beim Confederations Cup auch auf höchstem Niveau zeigen, was ich kann. Das will ich weitergeben und die Jungs mitreißen.
Insgesamt dreimal durften Sie bislang für die A-Nationalmannschaft auflaufen. Sehen Sie es persönlich als Rückschritt, wieder bei der U21 dabei zu sein?
Henrichs: Ich bin schon seit einiger Zeit wieder regelmäßig bei der U21 dabei und sehe die Zeit auf keinen Fall als Rückschritt an. Die U21 bietet mir die Chance, mich auf hohem Niveau zu präsentieren. Ich bin sicher, auch der Bundestrainer verfolgt unsere Spiele sehr intensiv und gerade die Europameisterschaft im Sommer ist ein gutes Sprungbrett.
Gab es seit Ihrem Wechsel zur AS Monaco Kontakt zu Joachim Löw?
Henrichs: Zuletzt im August, als mein Wechsel perfekt war. Er hat mir zum Transfer gratuliert und mir in Monaco viel Erfolg gewünscht. Seitdem hatten wir keinen Kontakt. Ich weiß aber, dass er sich mit Stefan Kuntz ständig über alle U21-Spieler austauscht.
Sie haben die U21-EM in Italien bereits angesprochen. Deutschland geht als Titelverteidiger an den Start. Wie sehen Sie Ihre Chancen?
Henrichs: In den vergangenen Testspielen haben wir uns mit starken Gegnern gemessen und keines der Spiele verloren. Allein das zeigt, welche Qualität in unserer Mannschaft steckt. Zuletzt haben wir viel ausprobiert und neue Systeme getestet. Noch klappt zwar nicht alles, aber ich denke, wir sind bereit für die EM.
GettyDurch Auftritte wie zuletzt gegen Frankreich zählen Sie zwangsläufig zum Favoritenkreis.
Henrichs: Mit uns muss man auf jeden Fall rechnen. Wir sind Titelverteidiger und werden mit viel Selbstvertrauen nach Italien reisen. Frankreich hat eine sehr gute Mannschaft, doch speziell in der ersten Halbzeit hat man gesehen, dass auch wir eine enorme Qualität haben. Nach dem Spiel habe ich mit einigen Spielern der Franzosen gesprochen und sie waren total überrascht von unserer Stärke. Sie hatten nicht erwartet, dass wir einen solchen Druck machen werden.
Obwohl in der U21 zahlreiche Bundesligaprofis spielen, die in ihren Vereinen regelrecht gehyped werden, ist der öffentliche Zuspruch relativ gering. Verdient die U21 mehr Aufmerksamkeit?
Henrichs: Ja, ich denke schon, dass wir mehr Aufmerksamkeit verdienen. Nach dem EM-Titel 2017 war auch die U21 mehr im Fokus der Öffentlichkeit. Etwas Ähnliches müssen wir uns nun wieder erarbeiten. Trotzdem ist es korrekt, dass man hier deutlich weniger beachtet wird als in der Bundesliga oder bei der A-Nationalmannschaft. Wenn wir aber künftig so guten und attraktiven Fußball zeigen wie zuletzt gegen Frankreich, bin ich sicher, dass es auch in der Öffentlichkeit honoriert wird.
Obwohl mit Frankreich ein hochkarätiger Gegner zu Gast war, kamen nur 4.227 Zuschauer ins Stadion nach Essen. Warum ist die U21 für Fans nur bedingt interessant?
Henrichs: Wenn ich ehrlich bin, wundert es mich auch etwas. Ich kann es mir nicht erklären, aber die Zuschauer, die da waren, haben ein wirklich gutes Spiel gesehen. Es war eine Art Werbung für unsere nächsten Spiele. Ich glaube, pünktlich zur EM im Sommer stehen wir wieder mehr im Fokus.
Seit dem frühen WM-Aus in Russland wird in Deutschland heftig über die Nachwuchsförderung diskutiert. Wie beurteilen Sie, als jemand, der seit der U15 alle Junioren-Nationalteams durchlaufen hat, diese Diskussion?
Henrichs: Man darf nicht vergessen, dass die Nationalmannschaft mitten im Umbruch steckt. Und dieser Umbruch braucht Zeit. Ich spiele in Frankreich und merke, dass dort reihenweise Spieler aus der Jugend kommen, die eine enorme Qualität mitbringen. Trotzdem darf man nicht alles schwarzmalen. Erfolge wie der U21-EM-Titel oder der Confed-Cup-Sieg zeigen, dass wir in Deutschland genug Qualität haben. Wir haben in zwei Jahren nicht alles verlernt. Die Nachwuchsförderung im DFB ist deutlich besser, als sie aktuell dargestellt wird.
Fehlen in Deutschland vielleicht trotzdem die viel zitierten "Straßenfußballer"?
Henrichs: Beim DFB haben wir aktuell keine Spielertypen wie Jadon Sancho, die die Bundesliga schon mit 18 Jahren schwindlig spielen. Trotzdem hat man Spieler wie Kai Havertz, Julian Brandt, Leroy Sane, die alle schon fester Bestandteil der A-Nationalmannschaft sind und es nach ganz oben schaffen können. Sie sind alle stark am Ball und trauen sich, ins Eins-gegen-Eins zu gehen.
Gerade bei Ihrem aktuellen Klub in Monaco baut man vermehrt auf junge Spieler. Können auch Bundesligisten von dieser Philosophie lernen?
Henrichs: Es ist schwer, das zu verallgemeinern. In Monaco haben wir sehr viele junge Spieler im Kader, doch auch Verletzungen der Etablierten haben dazu geführt, dass die Jungen schon früh regelmäßig zum Einsatz kamen. Aber auch in der Bundesliga baut man in den vergangenen Jahren vermehrt auf junge Spieler. Das zeigt allein ein Blick auf die U21-Nationalmannschaft Frankreichs. Zahlreiche französische Talente haben den Schritt nach Deutschland gewagt und sich dort durchgesetzt.
War diese Philosophie der Hauptgrund für Ihren Wechsel nach Monaco?
Henrichs: Mit Bayer habe ich 2016 in der Champions League gegen Monaco gespielt und rückblickend hat mich sehr beeindruckt, was aus einigen der Jungs geworden ist, die damals mit mir auf dem Platz standen. Mit Blick auf die Vergangenheit ist Monaco eine Top-Adresse für junge Spieler. Daran will ich mir ein Beispiel nehmen und im Idealfall einen ähnlichen Weg einschlagen. Ich will hier Fuß fassen und regelmäßig spielen, obwohl ich ein Jahr erwischt habe, in dem in Monaco sehr viel los ist. (lacht)
Mit Abstiegskampf und zwei Trainerwechseln hätte wohl niemand gerechnet.
Henrichs: Ich hätte natürlich nicht erwartet, mit Monaco gegen den Abstieg zu spielen, nachdem der Klub in den vergangenen Jahren Dauergast in der Champions League gewesen ist. Doch Fußball ist manchmal nicht planbar. Auch mit Leverkusen steckten wir in der Saison 16/17 plötzlich im Abstiegskampf. Wichtig ist nur, dass man es schafft, sich aus solchen Krisen heraus zu kämpfen. Und in Monaco sind wir aktuell auf dem besten Weg.
Wie schwer war für Sie persönlich die Umstellung, statt im Rheinland in Monaco zu leben?
Henrichs: Für mich persönlich war es ein riesiger Schritt, denn ich konnte zum Zeitpunkt des Wechsels kein Französisch und auch mit Englisch kommt man im Alltag nicht weit. Seit Sommer habe ich die Sprache deshalb sehr intensiv gelernt, sodass ich mich inzwischen gut verständigen kann. Die Ansprachen des Trainers in Französisch verstehe ich ohne Probleme. Solche Hürden zu überwinden, hat mich in meiner persönlichen Entwicklung enorm weitergebracht. Für uns als Team ist es zwar ein schweres Jahr, aber für mich persönlich läuft es gut und ich bin überzeugt, dass es der richtige Schritt war.
Rückblickend ist Ihr Ex-Trainer Thierry Henry in Monaco so etwas wie das Gesicht der sportlichen Talfahrt. Wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass er Ihr neuer Trainer wird?
Henrichs: Ich habe mich riesig gefreut, eine Legende wie Henry als Trainer zu bekommen. Mir hat es sehr gefallen, unter ihm zu trainieren und zu spielen. Von einer solchen Fußballpersönlichkeit kann man viel lernen.
Wie haben Sie ihn in der täglichen Arbeit erlebt?
Henrichs: Er ist ein Perfektionist und hat viel Wert darauf gelegt, dass wir jede einzelne Übung sauber ausführen. Da war er ein kleiner Fanatiker und ich glaube, er hat viel von Pep Guardiola aus seiner Zeit beim FC Barcelona mitgenommen. Er hat das Team in einer sehr schwierigen Phase übernommen, denn keiner wusste genau, wie wir mit dem Abstiegskampf umgehen sollen. Zudem waren einige Stammspieler verletzt und junge Spieler mit wenig Erfahrung mussten diese Lücken füllen. Für ihn war es sehr undankbar.
Sie sagen selbst, dass Henry für Sie eine Legende war. Sind Sie ihm in den ersten Tagen der gemeinsamen Zeit mit Ehrfurcht begegnet?
Henrichs: Nach den ersten Trainingseinheiten dachte ich kurz, ich träume. Thierry Henry war plötzlich mein Trainer. Als er bei Arsenal oder Barcelona gespielt hat, war er einer meiner größten Stars und ich habe ihm vor dem Fernseher zugejubelt. Dass er mir nun Tipps gab, wirkte fast surreal. Für mich persönlich war es eine überragende Zeit.
Gibt es eine Geschichte aus Ihrer gemeinsamen Zeit, die Sie besonders gern erzählen?
Henrichs: (lacht) Kennen Sie die alten Joga-Bonito-Videos?
Ja, ich erinnere mich.
Henrichs: Henry war eines der Gesichter der Kampagne und in einem der Spots hat er einen seiner berühmtesten Tricks gezeigt. Er stand seitlich neben dem Tor und hat sich gegen die eigene Hacke geschossen, sodass der Ball mit viel Effet noch ins Netz ging. Schon als Kind habe ich diesen Trick häufig versucht, aber nie geschafft. Nach einer Trainingseinheit habe ich ihn danach gefragt und er hat 25 Minuten lang mit mir geübt, bis es tatsächlich geklappt hat. Danach bin ich sofort in die Kabine gegangen, denn ich bin nicht sicher, ob ich es jemals wieder schaffen werde. (lacht)
Hat er bei Trainingsspielen noch seine alte Klasse aufblitzen lassen?
Henrichs: (lacht) Es ist tatsächlich genau so, wie man es sich vorstellt. Er hat regelmäßig mitgespielt und gezeigt, warum er bei Arsenal und Barcelona gespielt hat. Er hat Beinschüsse verteilt und wenn er als Stürmer gespielt hat, war es als Innenverteidiger unmöglich, an den Ball zu kommen. Man hat gesehen, dass er ein Weltklassespieler war.
War er als Trainer also eher ein lockerer Typ?
Henrichs: In solchen Momenten war er total locker und es hat großen Spaß gemacht. Doch er wusste genau, wann er den Schalter umlegen musste. In Taktikbesprechungen oder beim Trainieren von Standardsituationen war er absolut ernst und total fokussiert. Nach dem Training konnte man aber viel Spaß mit ihm haben. Henry ist für mich ein großartiger Mensch und Trainer.
Aus seiner Monaco-Zeit ging eine Pressekonferenz mit Benoit Badiashile viral. Ein strenger Blick von Henry reichte aus, um Badiashile dazu zu bringen, seinen Stuhl heranzuschieben.
Henrichs: (lacht) Wir als Mannschaft haben uns totgelacht und ihn damit aufgezogen. Ich glaube, es war die erste Pressekonferenz von Benoit und alle sprachen darüber, dass er seinen Stuhl nicht heranschiebt. Mit Henry als Trainer sollte man solche Dinge nicht vergessen.
ImagoGerade in solchen Szenen wirkte es, als hätte Henry eine besondere Aura.
Henrichs: Jeder in der Mannschaft hatte großen Respekt vor ihm. Wir alle träumen davon, ähnliches zu erreichen wie er in seiner aktiven Karriere und wollten deshalb von ihm lernen. Wir haben alles aufgesaugt, was er uns gesagt hat.
Haben Sie nach seiner Entlassung mit ihm gelitten?
Henrichs: Auf jeden Fall. Sowohl für Trainer als auch Spieler ist eine Trainerentlassung nicht einfach. Wenn ein Trainer gehen muss, heißt es meistens, dass man auch als Mannschaft etwas falsch gemacht hat. Für ihn persönlich ist es extrem bitter, dass er nur so kurz im Amt war. Obwohl er in Monaco keinen Erfolg hatte, bin ich davon überzeugt, dass er das Potenzial hat, ein richtig guter Trainer zu werden.
In Monaco, Leverkusen und bei der Nationalmannschaft haben Sie schon mit einigen großen Spielern zusammengespielt. Welcher Ihrer ehemaligen Mitspieler hat Sie am meisten beeindruckt?
Henrichs: Bei der Nationalmannschaft habe ich immer wieder über Toni Kroos gestaunt. Was die jungen Spieler angeht, beeindruckt mich niemand mehr als Kai Havertz. Beide haben enorme Ruhe und wissen, wo der Ball hin muss, bevor sie ihn überhaupt am Fuß haben. Sie haben das Auge für den perfekten Pass. Ich bin sicher, dass Kai noch eine große Karriere vor sich hat.
Wer war Ihr bislang härtester Gegenspieler?
Henrichs: Schwere Frage. Ich habe Douglas Costa sehr unangenehm in Erinnerung, weil er extrem flink und technisch stark ist. Gegen ihn zu spielen, war verdammt hart.