EXKLUSIV-INTERVIEW
Seine ersten Schritte einer aufreibenden Fußballerkarriere absolvierte Christopher Nöthe unter anderem in den Jugendabteilungen der Revierrivalen Schalke 04 und Borussia Dortmund. Beim BVB stieg er zum Profi auf. Nach Stationen bei Rot-Weiß Oberhausen, Greuther Fürth, St. Pauli und Arminia Bielefeld musste der heute 33-Jährige seine Laufbahn aufgrund von zahlreichen schweren Verletzungen im Sommer 2019 beenden.
Im Interview mit Goal und SPOX blickt der frühere Stürmer auf seine Karriere zurück und spricht unter anderem über die kuriosen Umstände seines Bundesligadebüts beim BVB, ewige Passübungen unter Bert van Marwijk, Übergewicht in Oberhausen und wahllose Neuzugänge in Fürth.
Außerdem verrät er, wieso er sich mit dem Schwiegersohn von Ewald Lienen überwarf, bei welchem Verein ihm in der Wäschekammer der Laufpass gegeben wurde und welche Auswirkungen seine Verletzungen auf den Alltag haben.
Herr Nöthe, Sie haben in der Jugend für Ihren Heimatverein VfR Rauxel, Schalke 04, den VfL Bochum sowie Borussia Dortmund gekickt. Wie sind Sie zum Fußball gekommen?
Christopher Nöthe: Erst ziemlich spät, bis zu meinem siebten Lebensjahr habe ich mich gar nicht dafür interessiert. Dann wurde der Vater von Michael Esser, der aktuell bei Hannover 96 spielt und mit dem ich gut befreundet war, Trainer beim VfR Rauxel. Dort haben viele meiner Freunde gespielt - unter anderem der Ex-Dortmunder Marc-Andre Kruska. Deshalb bin ich dorthin. Zwei Jahre später haben wir ein Fünf-gegen-fünf-Turnier in Gelsenkirchen gewonnen und als Preis gab es ein Probetraining bei Schalke. Am Ende wollte Schalke uns alle behalten, aber nur ich bin gemeinsam mit einem Mitspieler gewechselt und habe dort vier Jahre in der Jugend verbracht. Kruska hat abgesagt, weil er als sehr großer BVB-Fan nicht zu Schalke konnte. (lacht)
Von welchem Klub waren Sie Fan?
Nöthe: Seit ich mich für Fußball interessiere, bin ich BVB-Fan. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mir ging es aber immer nur um den Spaß beim Fußballspielen. Ich bin auch bei Schalke ins Stadion gegangen.
Profi wurden Sie aber in Dortmund. Weshalb hat das auf Schalke, wo Sie vier Jahre lang Kapitän in Ihren Teams waren, nicht geklappt?
Nöthe: Meine Mutter fuhr mich immer ins Training, hat dann aber wieder angefangen zu arbeiten. Viermal pro Woche von Castrop-Rauxel nach Gelsenkirchen zu pendeln, war daher nicht mehr möglich. Das sind zwar nur knapp 25 Kilometer, aber früher gab es weder Fahrdienste noch Nachwuchsleistungszentren. Also bin ich nach Bochum gewechselt, weil ich dort mit dem Bus hinkam. Das war der einzige Grund. Nach einem Jahr beim VfL bin ich nach Dortmund gegangen, weil sie sich um mich bemüht hatten - und weil es einen Fahrdienst gab.
Ab wann war Ihnen klar, dass Sie Profi werden wollen?
Nöthe: Mit 15 oder 16 in der B-Jugend. Mittwochs gab es immer ein Talente-Training bei den Profis unter Bert van Marwijk. David Odonkor oder Nuri Sahin waren zum Beispiel auch dabei. Fünf bis sechs Spieler aus der Jugend durften bei den Profis, die am Wochenende wenig bis gar nicht gespielt haben, mitmachen. Ich habe schnell gemerkt, dass es zu den Profis kein allzu weiter Weg mehr ist. Allerdings war ich nie verbissen oder habe ausschließlich dafür gelebt. Es kann sein, dass das jetzt im Nachhinein gesehen ein Fehler war.
Inwiefern?
Nöthe: Ich bin mit 16 feiern gegangen und habe nicht so professionell gelebt wie die anderen. Dafür gab es auch das eine oder andere Mal Ärger. Das nahm ich aber in Kauf, weil ich mir nicht alles vorschreiben lassen wollte. Ich hatte keinen Traumberuf. Meinen Eltern war es wichtig, dass ich die Schule beende und eine Ausbildung mache. Ich habe dann auch Industriekaufmann gelernt. Nach dem Talente-Training ging aber alles sehr schnell.
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Wie ging es genau weiter?
Nöthe: Ich wurde hochgezogen und übersprang eine Altersklasse. Auf einmal spielte ich bei den Amateuren, obwohl ich noch für die A-Jugend hätte auflaufen können. Ich erinnere mich noch an ein Spiel in der Regionalliga gegen Magdeburg. Wir lagen 0:2 zurück, ich kam in der 72. Minute rein und haben zwei Tore geschossen. Danach stand ich plötzlich im Fokus und habe dann abwechselnd bei den Amateuren und in der U19 gespielt. Es lief zwar gut, aber damals dachte ich nicht, dass ich nah an der ersten Mannschaft wäre.
Was blieb Ihnen denn vom Training bei den Profis als Jugendspieler besonders in Erinnerung?
Nöthe: Unter van Marwijk haben wir mal fast 45 Minuten lang eine einzige Passübung durchgeführt. Damals wollten wir alle nur aufs Tor schießen. Dabei ist es das Wichtigste, ein gutes Passspiel zu beherrschen, weil das Spiel immer schneller wird.
Wie schwer fiel es Ihnen, sich für Ihre Ausbildung zu motivieren?
Nöthe: Sehr schwer. Die Ausbildung begann, als ich zwischen den Amateuren und den Profis gependelt bin. Freitags hatte ich Berufsschule. Wenn Auswärtsspiele anstanden, musste ich von dort direkt ins Mannschaftshotel fahren. Mein Betrieb hat es mir zum Glück auch ermöglicht, dass ich ins Training gehen konnte.
Wie ging es für Sie dann dauerhaft nach oben zu den Profis?
Nöthe: Das war unter Thomas Doll, als es zahlreiche Verletzte gab. Doll nahm ein paar Spieler von den Amateuren ins Training auf, um sie sich anzusehen. Er war von mir schnell überzeugt, da ich nicht viele Chancen vor dem Tor brauchte, kaum nervös war und einfach Spaß hatte. Ab dann war ich bei nahezu jedem Profi-Training dabei und saß bei den Bundesligaspielen auf der Bank. Leider kam ich nur auf drei Einsätze. Zu der Zeit wurde ein 18-Jähriger noch nicht so schnell reingeworfen wie heute.
Wurden Sie im Vergleich zu davor verbissener und ehrgeiziger, nachdem Sie regelmäßig bei den Profis dabei gewesen waren?
Nöthe: Ich habe mich vor allem einfach gefreut, dabei zu sein. Ich dachte aber nicht daran, damit auf Dauer meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich genoss es vielmehr, jede Woche in einer anderen Stadt zu sein, in einem neuen Stadion zu spielen, die Atmosphäre aufzusaugen und auf Spieler zu treffen, die ich zuvor nur aus dem Fernsehen kannte. Das ist ja wesentlich besser, als die Schulbank zu drücken oder lernen zu müssen.
Das erste Mal in den Profikader berufen wurden Sie im September 2007 gegen Werder Bremen. Wie erinnern Sie sich daran?
Nöthe: Es hing immer eine Kaderliste aus, der man entnehmen konnte, ob man dabei war. Gegen Bremen stand dann ein Kreuz neben meinem Namen. Nur einmal war das etwas anders, ein paar Wochen später gegen den Karlsruher SC.
Was war los?
Nöthe: Ich war im Betrieb. In der Mittagspause sah ich auf meinem Handy, dass mich Michael Zorc die ganze Zeit erreichen wollte. Ich dachte schon, ich hätte etwas verbrochen. Als ich zurückrief, sagte er, die Mannschaft sei bereits nach Karlsruhe geflogen und ich stünde im Kader. Das war mir überhaupt nicht klar, da diesmal keine Liste aushing. Wahrscheinlich hat Doll einfach angenommen, dass wir davon ausgehen, der Kader bleibe aufgrund der zahlreichen Verletzungsausfälle ohnehin derselbe. Ich saß also kurz darauf in Arbeitskleidung im Zug nach Karlsruhe. Als ich im Hotel ankam, bekam ich von allen Applaus spendiert. (lacht) Letztlich wurde es das Spiel, in dem ich mein Bundesligadebüt feierte.
Ex-BVB-Talent Nöthe: "Bei den Amateuren wurden Wunderdinge von mir erwartet"
Und eine Woche später standen Sie im Heimspiel gegen Bochum im ausverkauften Stadion erstmals in der Startelf.
Nöthe: Das hat sich schön angefühlt, allerdings glaube ich, es war die falsche Zeit dafür. Wir Spieler bekamen nämlich keine Medienpräsenz, da es offensichtlich einen Maulwurf im Team gab, der interne Dinge an die Presse spielte. Daher hat uns der Verein mit einem Interviewverbot belegt. Ich durfte mich nach meinem ersten richtigen Spiel also nicht äußern, anschließend war auch kaum etwas darüber zu lesen. Das war sehr schade, weil ich nach der anschließenden Länderspielpause nicht mehr berücksichtigt wurde.
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Wieso?
Nöthe: Früher hat man sich nicht die Zeit genommen, um dies gegenüber jungen Spielern zu begründen. Es war normal, dass man in einer Woche dabei war und in der nächsten wieder für die Amateure kickte. Damals stand der BVB auch schlecht da und Doll mit dem Rücken zur Wand, dazu war er ohnehin nicht sehr kommunikativ. Er hat mich jedenfalls nie im Training mal zur Seite genommen und mit mir gesprochen oder erklärt, ob ich am Wochenende spiele. Womöglich war das der Gesamtsituation geschuldet. Ich selbst habe das Gespräch auch nicht gesucht, weil ich einfach nur froh war, überhaupt dabei zu sein. Zurück bei den Amateuren war die Erwartungshaltung allerdings viel zu groß. Es wurden Wunderdinge von mir erwartet.
Weil Sie quasi schon Bundesliga spielten?
Nöthe: Genau. Nach einem Auswärtsspiel mit den Profis wurde ich mitten in der Nacht von einem Mitglied des Trainerteams der Amateure abgeholt und zum nächsten Spielort kutschiert. Dort wurde am nächsten Tag dann erwartet, dass ich das Spiel im Alleingang entscheide. Es hat keinen interessiert, dass ich zuvor bei den Profis war und die ganze Nacht im Auto saß.
Haben Sie dieses Problem dann angesprochen?
Nöthe: Nein. Sonst hätte es geheißen, ich würde mich weigern, bei den Amateuren zu spielen, da ich ja schon Profi sei und andere Dinge im Kopf hätte. Dabei habe ich die Spiele bei den Amateuren keinesfalls als Rückschritt gesehen, sondern mich über die Spielpraxis gefreut. Allerdings konnte ich unter den gegebenen Umständen keine Leistung bringen.
Wenn Sie jetzt zurückblicken, was hat Ihnen zum dauerhaften Sprung zu den BVB-Profis gefehlt?
Nöthe: Die Konkurrenz war einfach zu groß. Alexander Frei, Nelson Valdez, Diego Klimowicz oder Mladen Petric haben im Sturm gespielt. Da war es schwer, auf Spielzeit zu kommen. Ich habe mich aber auch nicht mit einem Wechsel befasst oder mit anderen Vereinen gesprochen. Ich dachte, wenn es nicht reicht, dann spiele ich eben bei den Amateuren weiter. Heutzutage würde man da sofort nach einem neuen Klub Ausschau halten.
Welcher Spieler hat Sie denn in Dortmund am meisten beeindruckt?
Nöthe: Sahin war ein absolutes Ausnahmetalent. Er hat einen extremen Willen an den Tag gelegt, hatte enorme Fähigkeiten und war sehr weit für sein Alter. Auch Mesut Özil, mit dem ich in der Westfalenauswahl zusammenspielte, hat mich beeindruckt.
Im Sommer 2008 gingen Sie schließlich auf Leihbasis zum damaligen Zweitligaaufsteiger Rot-Weiß Oberhausen. Wie kam es dazu?
Nöthe: Am Saisonende habe ich mit Theo Schneider, dem damaligen Trainer der Amateure, über meine Zukunft gesprochen. Damals machte ich mir erstmals Gedanken darüber, ob ich mich bei den Amateuren weiterentwickeln kann und überhaupt Lust habe, dauernd zwischen Profis und zweiter Mannschaft zu pendeln. Ich wollte mich dann in der 2. Liga zeigen und anschließend entweder nach Dortmund zurückkehren oder woanders Fuß fassen. Oberhausen sollte mein Sprungbrett werden.
Nöthe über RWO: "Dort war die Pizza nach der Partie entscheidend"
Wie groß war die Umstellung vom BVB auf RWO?
Nöthe: Es war eine komplett andere Welt. Die Atmosphäre war zwar familiär, aber alles, was in Dortmund professionell war, war in Oberhausen amateurhaft: von den Umkleidekabinen über die Trainingsmöglichkeiten bis hin zu den Busfahrten und der Ernährung. Dort wog ich später knapp 90 Kilogramm. In Oberhausen war die Pizza nach der Partie im Bus entscheidend. Irgendwie war es auch spannend, wieder zu den Grundtugenden zurückzukehren und auf einem Aschenplatz zu trainieren. Wenn man bedenkt, wie wir trainiert und uns ernährt haben, grenzt es heute noch an ein Wunder, dass wir Neunter wurden.
Ihr Start verlief allerdings denkbar unglücklich. In der Hinrunde kamen Sie aufgrund eines Innenbandanrisses und einer Schulterverletzung gar nicht zum Einsatz.
Nöthe: Das Innenband riss ich mir in der Vorbereitung, nachdem mich ein Mitspieler im Training gefoult hatte. Ihm passte es nicht, dass ich als junger Hüpfer besser war als er. Im ersten Training nach meiner Rückkehr habe ich mir direkt die Schulter ausgekugelt. Die Reha absolvierte ich in Dortmund, daher hatte ich keinen richtigen Bezug zur Mannschaft. Nach der Sache mit der Schulter war ich auch niedergeschlagen, weil ich ankommen und mich beweisen wollte. Ich wusste, dass ich gut genug bin, um eigentlich in jedem Spiel in der Startelf zu stehen. Das war schon sehr frustrierend. Immerhin kam ich in der Rückrunde noch auf 14 Spiele und fünf Tore.
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Anschließend wechselten Sie im Jahr 2009 zu Greuther Fürth, wo Sie Ihre erfolgreichste Zeit hatten.
Nöthe: Dort hat es am meisten Spaß gemacht, weil wir eine gute Truppe hatten und ich von Anfang an das Vertrauen von Trainer Benno Möhlmann bekam. Dabei wusste er erst nicht viel mit mir anzufangen. (lacht)
Weshalb?
Nöthe: Ich glaube nicht, dass er mich überhaupt haben wollte. In Fürth hat Präsident Helmut Hack Spieler verpflichtet, wenn sie ihm gefallen haben. Vor meinem Wechsel hatte ich lediglich mit ihm und Sportdirektor Rachid Azzouzi gesprochen. Möhlmann habe ich das erste Mal beim Training getroffen. Am zweiten Tag musste ich in sein Büro. Da fragte er mich, welcher mein starker Fuß sei und auf welcher Position ich am liebsten spielen würde.
In der ersten Saison wurden Sie mit 15 Ligatreffern erfolgreichster Torschütze des Vereins. Im zweiten Jahr warfen Sie aber erneut zwei schwere Verletzungen zurück, weshalb Sie ein Drittel der Spielzeit verpassten. Wie sind Sie damit umgegangen?
Nöthe: Ich habe nur auf den Tag hingearbeitet, an dem ich wieder spielen konnte und wie sonst auch zu keinem Zeitpunkt an mir gezweifelt. Das hätte ich vielleicht getan, wenn ich mir die Verletzungen ohne Fremdeinwirkung zugezogen hätte. Es passierte aber jedes Mal in Zweikämpfen, ich konnte nichts dagegen tun.
2012 stiegen Sie mit dem Kleeblatt als Spitzenreiter in die Bundesliga auf - es war der erste Aufstieg der Vereinsgeschichte. Wie waren die Feierlichkeiten?
Nöthe: Sehr emotional, weil die gesamte Stadt mit aufgestiegen ist. Zehntausende Menschen waren auf den Straßen und man hat in ihren Augen gesehen, dass die Freude von Herzen kam. Fürth galt zuvor immer als unaufsteigbar, dabei wussten wir von Anfang an, dass es diesmal klappen würde. Trainer Mike Büskens hat im Training als Motivation ein Steine-System eingeführt. Dafür rechneten wir im Vorfeld aus, wie viele Siege wir für den Aufstieg benötigen. Die einzelnen Tage wurden mit einem weißen, Siege mit einem grünen und Niederlagen mit einem schwarzen Stein dargestellt. Jeden Tag durfte dann ein anderer Spieler den entsprechenden Stein in einen Behälter legen, so dass wir gemeinsam darauf hinarbeiteten, so viele grüne Steine wie möglich zu sammeln. Büskens war richtig hungrig nach Erfolg und hat aus allem einen Wettbewerb gemacht. Die Gewinner wurden teilweise mit Schokolade belohnt. Das hat einen echt heiß auf Siege gemacht.
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Nöthe über Zoff mit dem Schwiegersohn von Ewald Lienen
13 Tore steuerten Sie zum großen Ziel bei. Im Jahr darauf in der Bundesliga waren Sie jedoch außen vor und absolvierten lediglich 13 Partien ohne eigenes Tor. Wie kam das?
Nöthe: Der Verein hat seine Ansprüche angepasst und gemeint, man könne die Mannschaft umbauen. Wenn man aufsteigt, hat man dies eigentlich den Spielern aus dem Zweitligajahr zu verdanken. Wenn die allerdings kein Vertrauen mehr bekommen und stattdessen wahllos Spieler verpflichtet werden, die weder zum Verein noch ins Konzept passen, dann fällt man auf die Schnauze. Am Ende hätten wir sogar drei Teams aufstellen können. Es gab kaum noch Platz in der Umkleidekabine, weil die Verantwortlichen einen Transfer nach dem anderen getätigt haben. Ich glaube, wir haben kein einziges Spiel mit der Aufstiegsmannschaft bestritten.
Wie sahen Ihre Gefühle damals aus?
Nöthe: Es war schon sehr seltsam: Man schießt 13 Tore, steigt auf und soll auf einmal von jemandem ersetzt werden, der vor einigen Jahren mal fünf Millionen Euro Ablöse gekostet und einen gewissen Namen hat, aber dann nicht überzeugt. Mir wurden Spieler wie Djiby Fall oder Gerald Asamoah vor die Nase gesetzt, die es aber nicht besser gemacht haben. Es kamen so viele Neue, der Teamgeist aus den vergangenen Jahren ging bereits in der Vorbereitung verloren.
Wie hat Büskens Ihnen gegenüber begründet, dass Sie nicht spielen?
Nöthe: Er sagte, es sei körperlich zu wenig, die Gegner würden mich zu leicht wegdrücken. Ich bin natürlich nicht Jan Koller und wog immer zwischen 75 und 80 Kilogramm. Weder mein Gewicht noch meine Spielweise hätten sich während eines Trainingslagers verändern können. Man hätte letztlich in die Fähigkeit der Spieler vertrauen müssen, die da und aufstiegen waren. Es war kein Wunder, dass wir sang- und klanglos gescheitert sind.
Sie blieben bis Saisonende in Fürth. Warum sind Sie nicht bereits im Winter gegangen?
Nöthe: 1860 München zeigte Interesse an einer Verpflichtung, allerdings war mir die Situation rund um den Investor Hasan Ismaik zu unsicher. St. Pauli, wo Azzouzi mittlerweile Sportdirektor war, wollte mich ebenfalls. Ich hatte zwar keinen Spaß, habe aber noch nie mitten in der Saison aufgegeben. Ich wollte erst im Sommer nach Hamburg wechseln, das war im Winter für mich bereits klar. Fürth habe ich das allerdings nicht gesagt, da der Verein keine Gesprächsbereitschaft für eine mögliche Vertragsverlängerung zeigte. Ich wollte mir auch nicht die eventuelle Chance verbauen, noch einmal zu spielen. In der Rückrunde stand ich zwar ein paar Mal in der Startelf, war danach aber wieder völlig überraschend draußen. Ab dem Zeitpunkt war mir Fürth vollkommen egal, auch der Abstieg hat mich nicht interessiert. Ich habe bis heute kein Verständnis für den Umgang.
Bei St. Pauli blieben Sie zwei Jahre, dann wechselten Sie zu Arminia Bielefeld.
Nöthe: Der Abschied aus Hamburg hatte keine Leistungsgründe. Abder Ramdane, der Co-Trainer von Ewald Lienen, und ich hatten uns im Training wegen eines Balls gezofft, der möglicherweise im Aus war. Ramdane sagte dann, ich solle die Schnauze halten - und so etwas lasse ich mir nicht gefallen. Ich erwarte einen respektvollen Umgang, wie ich ihn den Trainern auch entgegenbringe. Letztlich entschieden wieder Eitelkeiten darüber, dass ich erneut draußen war. Der Verein wollte mich dann loswerden und am besten noch Geld verdienen. Ich hätte mich ohnehin unter keinen Umständen mehr für diesen Co-Trainer zerreißen können.
Wie ist Lienen mit der Sache umgegangen?
Nöthe: Ramdane war sein Schwiegersohn. Daher war da wenig zu machen und die Angelegenheit schnell erledigt. Für den Verein war ich nur ein Werkzeug, das man entweder benutzt oder nicht.
Nöthe: "In Bielefeld wurde mir in der Wäschekammer der Laufpass gegeben"
Haben Sie ab 2015 in Bielefeld ähnliche Erfahrungen gemacht wie zuvor in Fürth und Hamburg?
Nöthe: Das erste Jahr unter Norbert Meier war herausragend, zwischen Spielern und Trainern entwickelten sich enge Freundschaften. 2016 wurde er allerdings von Rüdiger Rehm abgelöst und dann war der Spaß vorbei. Rehm wollte ein System spielen lassen, das wir gar nicht konnten. Das haben auch die Ergebnisse gezeigt. Als er gehen musste, hat sich unter Jürgen Kramny alles wieder etwas gefangen. Bis 2017 Jeff Saibene kam, der große Retter.
Soll heißen?
Nöthe: Im ersten Heimspiel unter seiner Leitung habe ich mir einen Kreuzbandriss zugezogen und fiel acht Monate aus. Von da an litt unser Verhältnis. In den Zeitungen stand zwar immer, dass man mich bestmöglich unterstützen würde, doch ich war auf mich allein gestellt. Während der Reha hatte ich kaum Kontakt zu Trainerteam oder Mannschaft.
Wie ging es weiter?
Nöthe: Wir haben am letzten Spieltag den Klassenerhalt in der 2. Liga geschafft. Ich habe mich doppelt gefreut, da sich auch mein Vertrag automatisch um zwei Jahre bis 2019 verlängerte. Ich hatte für die kommende Saison also Sicherheit und konnte mich auf die Reha konzentrieren. Als ich wieder zurück war, merkte ich aber, dass mich der Verein gar nicht mehr haben wollte. Es hieß, meine Leistungen würden nicht mehr reichen. Das ergab für mich keinen Sinn, da ich ja keine Möglichkeit bekam, mich zu zeigen.
Wie wurde Ihnen das mitgeteilt?
Nöthe: Kurz vor Ende der Saison 2017/18 baten mich Saibene und sein Co-Trainer Carsten Rump zu einem Gespräch. In der Wäschekammer wurde mir dann der Laufpass gegeben und gesagt, ich solle mir einen neuen Verein suchen.
In der Wäschekammer?
Nöthe: Ja, keine Ahnung warum. (lacht) Ich wusste bereits, was auf mich zukommt, da Sören Brandy unmittelbar vor mir dran war. Es war ziemlich skurril und irgendwie auch lustig, obwohl die Umstände natürlich traurig waren. Ich hielt entgegen, dass ich noch einen laufenden Vertrag habe. Ich hätte kein Problem gehabt, einen neuen Klub zu suchen, doch dafür hätte ich ein paar Spiele benötigt, um mich nach der Verletzung wieder in den Fokus zu spielen. Deshalb sagte ich, dass ich auf keinen Fall gehen, sondern definitiv zum Trainingsauftakt wieder erscheinen werde. Dann wollten sie mich vom Trainingsbetrieb ausschließen, obwohl mir das vertraglich zustand.
Wie haben Sie reagiert?
Nöthe: Während der Vorbereitung hat mein Berater mehrmals mit den Verantwortlichen gesprochen, doch es ergab sich keine Lösung, weil eine Vertragsauflösung für mich finanziell nicht in Frage kam. Einige Drittligisten zeigten Interesse, aber das war nicht mein Anspruch. Ich bin viel eher davon ausgegangen, dass Saibene nicht mehr lange Trainer bleibt, da ich an Karma glaube. Schließlich blieb ich und Saibene musste nur wenige Monate später im Dezember 2018 gehen. Bis dahin trainierte ich nur individuell und klagte mich ins Training ein, doch sie haben Möglichkeiten gefunden, mich weiter vom Training auszuschließen. Ich habe dann teils nur das Aufwärmprogramm mitgemacht und arbeitete danach auf dem Nebenplatz mit dem Athletiktrainer.
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Nöthe: "Habe Saibene ins Gesicht gelacht"
Wie ging Saibene bis zu seiner Entlassung damit um?
Nöthe: Nach meinen Einheiten bin ich an ihm vorbei gelaufen und habe ihm ins Gesicht gelacht. Das hat ihn dann noch mehr geärgert. Ich wollte ihm einfach zeigen, dass ich auf keinen Fall vor Vertragsende gehen werde - ganz egal, was er mit mir macht. Man hat bis zum letzten Tag der Transferperiode versucht, mich loszuwerden.
Was meinen Sie, welchen Teil haben Sie zu den Auseinandersetzungen in Fürth, bei St. Pauli und Bielefeld beigetragen?
Nöthe: Darüber habe ich natürlich auch nachgedacht. Ganz unschuldig war ich sicher nicht, wenngleich ich die Hauptschuld auch heute nicht bei mir sehe.
Bei Arminia folgte auf Saibene Uwe Neuhaus, der nach wie vor an der Seitenlinie steht.
Nöthe: Er hat mich fair behandelt und jedem eine Chance gegeben. Ich traf dann in der Vorbereitung in nahezu jedem Spiel, doch kurz vor Saisonstart zog ich mir den zweiten Kreuzbandriss zu. Das hat dem Verein beim Vorhaben, mich loszuwerden, leider in die Karten gespielt. Kaum war ich verletzt, hatte ich keinen Kontakt mehr zur Arminia. Niemand hat sich nach mir erkundigt, auch Neuhaus nicht.
2019 verließen Sie Bielefeld mit Vertragsende. Seit Ihrem zweiten Kreuzbandriss sind Sie Sportinvalide. Insgesamt fielen Sie in Ihrer Laufbahn weit über 1000 Tage aus. Wann wurde Ihnen klar, dass die Karriere vorbei ist?
Nöthe: Ich habe mich selbst nie unter Druck gesetzt. Das Karriereende hat sich ja über längere Zeit abgezeichnet. Ich merkte, dass die harte Arbeit nichts mehr nützt. Das musste ich akzeptieren, ich konnte das vergleichsweise einfach verarbeiten. Mein Knie hat sich letztlich nie mehr erholt und bereitet mir heute noch Probleme. Seit meinem Abschied aus Bielefeld stand ich nicht mehr auf dem Fußballplatz und kann auch nicht mehr joggen, nur Fahrradfahren im Fitnessstudio oder mit den Kindern draußen spazieren geht noch.
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Wie bewerten Sie heute Ihre Laufbahn?
Nöthe: Ich habe das Maximum herausgeholt, ohne die Verletzungen wäre vielleicht mehr drin gewesen. Ich sah mich aber auch nie als Bundesligaspieler, nur weil ich da ein paar Spiele absolviert habe. Ich hatte nie das Gefühl, die Qualität zu haben, um mich dort auf Dauer durchsetzen zu können. Da ich nie verbissen war, trauere ich auch nichts nach. Ich bin durch den Fußball zwar kein Multimillionär geworden, aber es hat mir dennoch Spaß gemacht. (lacht)
Sie sind 33 Jahre alt. Mittlerweile studieren Sie Sportmanagement und absolvieren ein Volontariat bei der Kommunikationsagentur Avantgarde, die Sie auch als Spieler beriet. Wie läuft es als Student?
Nöthe: Der erste Monat war richtig hart. Ich saß nach 15 Jahren mal wieder vor einem Buch und musste lernen, das ist schon eine große Umstellung. Ich war ja sehr froh, als ich mit der Schule fertig war. (lacht) Mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt, es macht auch Spaß und ich lerne viel dazu. Es wäre schön, eines Tages wieder im Fußballbereich Fuß zu fassen.
Fehlt Ihnen der Fußball?
Nöthe: Wenn man nicht mehr jede zweite Woche in einer anderen Stadt schläft, merkt man, was man daran hatte. Das Zusammensein mit den Teamkollegen und auch die Busfahrten mit ihnen fehlen mir schon. Manche Sechs-Stunden-Fahrten gingen ja so schnell vorbei, dass man sich manchmal wünschte, noch in einen Stau zu geraten.