HINTERGRUND
Vor einem Jahr trat der FC Bayern eine Reise an. Das Ziel hieß Cottbus in der Lausitz, der dort ansässige Verein FC Energie freute sich über den prominenten Gast und die damit verbundenen Einnahmen. Erste Runde des DFB-Pokals, wie es Anfang August seit unzähligen Jahren Usus ist.
2020 ist ungewöhnlich, in diesem Jahr werden coronabedingt zu jenem Zeitpunkt, mitten im Hochsommer, keine David-gegen-Goliath-Duelle in der Peripherie ausgetragen, sondern Achtelfinal-Rückspiele der Champions League bestritten.
Statt aus Cottbus kam der Gegner an diesem Abend aus der Weltstadt London. Der FC Chelsea, frischgebackener Königsklassen-Qualifikant und FA-Cup-Vize, musste nach über fünf Monaten Wartezeit in München antreten – und einsehen, dass sich im Vergleich zum ersten Aufeinandertreffen im Februar, das an der heimischen Stamford Bridge 0:3 verloren ging, nicht allzu viel geändert hatte.
Getty ImagesQuelle: Getty ImagesDer deutsche Rekordmeister beherrschte die Blues abermals, schickte die englische Reisegruppe mit 4:1 zurück auf die Insel und sicherte sich somit souverän eines der acht begehrten Tickets für das Final-Turnier in Lissabon. Drei Erkenntnisse zur Partie.
1. Physische Power trotz Pause - FC Bayen zu stark für Chelsea
Als der FC Bayern seine bis dato letzte Pflichtbegegnung bestritt, gewann der FC Chelsea am 33. von 38 Premier-League-Spieltagen mit 3:0 gegen den FC Watford und untermauerte damit seinen Anspruch auf einen Champions-League-Platz.
Als die Spieler des FC Bayern ihren Urlaub genossen, fuhren die Blues zwei weitere Siege ein, mussten allerdings auch eine Niederlage hinnehmen. Als die FCB-Stars ihr Training langsam wieder aufnahmen, setzte es ein 3:5 gegen den FC Liverpool, der längst als Meister feststand.
imago images / Stefan MatzkeQuelle: imago images / Stefan MatzkeAm vergangenen Wochenende, als die Münchner im kleinen Stadion am Campus Olympique Marseille anlässlich eines Testspiels empfingen, verlor Chelsea das Finale um den FA Cup gegen Stadtrivale Arsenal.
Vorzeichen, die vermuten lassen könnten, dass die sich im Dauerbetrieb befindenden Engländer den Bayern etwas voraushaben – zumindest mit Blick auf die Physis. Dass dahingehende Spekulationen sich nicht ansatzweise bewahrheiten sollten, wurde jedoch schnell deutlich.
Besonders in der ersten halben Stunde machten die Hausherren ihren Gästen klar, dass diese sich nicht den Hauch einer Chance auf die Sensation ausrechnen durften.
Kollektives, diszipliniertes Pressing zermürbte das Team von Frank Lampard schon in den Anfangsminuten. Schnelles Umschalten, das besonders im Vorfeld des 2:0 von Erfolg gekrönt war, stellte den CFC vor erhebliche Probleme. Hinzu kam eine ungemeine Flexibilität in der Offensive, die bei den Londonern allgemeine Unordnung hervorrief.
imago images / Sven HoppeQuelle: imago images / Sven Hoppe"Wir wollten das Ergebnis aus dem Hinspiel nicht nur verwalten, sondern wir wollten den Gegner von Anfang an fordern und klarmachen, dass mit uns zu rechnen ist", erklärte Thomas Müller im Anschluss an die Partie auf der Pressekonferenz. Er schob nach: "Wir haben unsere Kräfte nicht gespart, sondern sind dem Motto 'volle Kraft voraus' gefolgt."
Flick, der aufgrund der guten Chelsea-Form der vergangenen Wochen im Vorfeld eigenen Angaben zufolge "etwas angespannter als sonst" war, freute sich, dass seine Schützlinge die physisch anspruchsvolle Marschroute beeindruckend umgesetzt hatten.
"Ich war sehr zufrieden mit der Art und Weise, wie wir nach der kurzen Pause zurückgekommen sind", resümierte der Bayern-Coach. Er ergänzte: "Wir waren in den ersten 30 Minuten sehr dominant, das war richtig gut. In der zweiten Halbzeit haben wir wieder Fahrt ins Spiel gebracht und in dieser Höhe verdient gewonnen."
Am Ende standen für die Bayern 63,4 Prozent Ballbesitz zu Buche, 640 Pässen aufseiten der Münchner standen letztlich 369-Chelsea-Zuspiele gegenüber. "Mit der längeren Pause war es natürlich nicht ganz einfach", verriet Leon Goretzka hinsichtlich der vierwöchigen Ruhezeit. "Wir haben die Situation aber sehr gut angenommen."
Getty ImagesQuelle: Getty ImagesDavid Alaba befand: " Es war das erste Spiel nach einem Monat. Es ist nicht immer so einfach, direkt den Rhythmus zu finden, wieder reinzukommen. Das war uns vorher bewusst. Wir haben in der Vorbereitung sehr gut gearbeitet. Das ist das Resultat."
Ein Resultat, das zeigt, wie fit die Flick-Truppe ist. Das dürfte auch beim FC Barcelona, dem kommenden Gegner, wahrgenommen worden sein.
2. FC Bayern kompensiert die Ausfälle von Benjamin Pavard und Kingsley Coman
Wohl dem, der einen Joshua Kimmich in seiner Mannschaft weiß. Diese Erkenntnis ist nicht neu, wurde am Samstagabend aber einmal mehr untermauert. Im Dezember vergangenen Jahres musste der gelernte Mittelfeldmann, der später zum Rechtsverteidiger umgeschult wurde, um schließlich von Flick doch wieder auf seiner "angestammten" Position eingesetzt zu werden, letztmalig rechts hinten aushelfen.
Weil mit Benjamin Pavard der etatmäßige Rechtsverteidiger ausfiel, stellte sich Kimmich laut Flick "in den Dienst der Mannschaft", nahm seine einstige Rolle wieder ein und lieferte zuverlässig ab (vier Balleroberungen, 50 Prozent Zweikampfquote, 57 Ballaktionen).
Getty ImagesQuelle: Getty ImagesOb Kimmich auch in Lissabon die defensive Außenbahn beackern wird, steht indes noch nicht gänzlich fest, scheint aber bezüglich des Spiels gegen Barca als wahrscheinlich. Pavard erschien am Samstagabend immerhin noch auf Krücken und orthopädischem Schuh auf der Tribüne.
"Er macht Fortschritte. Wir müssen abwarten, ob es eventuell noch etwas wird", sagte Flick über Pavard. "Wir hoffen, dass es noch die Chance gibt, dass er ins Turnier eingreifen kann." Doch selbst, wenn nicht – Kimmich hat seine Qualitäten als Rechtsverteidiger hinlänglich bewiesen, hinzukommt, dass Thiago und Goretzka als Sechser-Achter-Tandem gegen Chelsea sehr gut funktionierten.
Auch Ivan Perisic, der den angeschlagenen Kingsley Coman als Linksaußen vertrat, reihte sich nahtlos ins Flick'sche Konstrukt ein. Der Kroate verbuchte zwar die wenigsten Ballakionen, arbeitete allerdings gut mit, verstand es, in den richtigen Momenten am Pressing teilzunehmen und trat sogar als Torschütze in Erscheinung.
imago images / Sven HoppeQuelle: Imago Images / Sven HoppeDass er gegen die Blaugrana erneut von Beginn an ran darf, ist dennoch nicht gesichert. Coman, dessen Nichtberücksichtigung von Flick als Vorsichtsmaßnahme deklariert wurde, dürfte bei seiner Rückkehr die besseren Karten haben.
Außerdem wusste Philippe Coutinho nach seiner Einwechslung für Perisic bisweilen zu gefallen und zeigte durchaus das Bestreben, Eigenwerbung zu betreiben, um gegen seinen Ex-Klub Barcelona mit mehr Spielzeit bedacht zu werden.
3. FC Bayern schlägt Chelsea: Robert Lewandowski weiter in Gala-Form
Eigentlich ist zu Robert Lewandowski spätestens im Laufe dieser Saison so ziemlich alles gesagt und geschrieben worden. Dennoch versteht es der Pole derzeit, auch nach der kurzen Pause seine Glanzleistungen immer wieder mit der häufig bemühten Tortenkirsche zu garnieren.
Mit zwei Toren sowie zwei Vorlagen war Lewy an allen Bayern-Toren direkt beteiligt und avancierte so zum unangefochtenen Mann des Spiels. Um die Form von Mr. Zuverlässig zu unterfüttern, reicht es aus, einen Blick in die Statistik zu werfen. Lewandowski war nicht nur am Samstagabend in alle FCB-Treffer involviert, er hatte bei sämtlichen Toren gegen Chelsea in Hin- und Rückspiel seine Füße im Spiel (insgesamt drei Tore und vier Assists).
imago images / Sven HoppeQuelle: Imago Images / Sven HoppeLewandowski erzielte gegen Chelsea seine Pflichtspieltreffer 52 und 53 in dieser Spielzeit. Und das bei 44 Spielen, wobei er lediglich in acht Begegnungen leer ausging. Allerdings nicht in der Champions League, denn im prestigeträchtigsten aller Wettbewerbe netzte der 31-Jährige in all seinen sieben Einsätzen der Saison 2019/20 (Lewandowski war im sechsten Gruppenspiel gegen Tottenham Hotspur geschont worden).
"Wir hätten nichts dagegen, wenn er so weitermacht", sagte Flick nach dem erneuten Gala-Auftritt seines Goalgetters. "Er hat heute wieder einmal gezeigt, wie wichtig er für uns ist und wir sind froh, dass er bei uns spielt."
Mit der Frage konfrontiert, ob Lewandowski oder Lionel Messi, der gegen Napoli ebenfalls brillierte, aktuell der bessere Offensivallrounder sei, scherzte Müller: "Das werden wir am Freitag sehen. Dann ist der Lewy gefordert, diese Frage zu beantworten."