KOLUMNE
Es ist noch keine Woche her, da gab Werner Gegenbauer seine Vision von der Berliner Hertha zum Besten. "Wir wollen eigentlich so sein wie Berlin ist", sagte er dem Rundfunk Berlin-Brandenburg.
Wirklich?
Die Hauptstadt macht ja aktuell nicht unbedingt positive Schlagzeilen – eher im Gegenteil. Zuletzt haben stundenlange Warteschlangen am nach ewigen Verzögerungen erst vor kurzem fertiggestellten Flughafen BER, monatelanges Warten auf einen Termin in einem Bürgeramt oder die peinlichen Auszählungs- und Organisationspannen bei den jüngsten Berliner Wahlen sämtliche Vorurteile bestätigt.
"Hauptstadt zum Heulen", schrieb der Spiegel, "Pannenstadt Berlin", das Redaktionsnetzwerk Deutschland. Und Deutschlandfunk Kultur meinte, Berlin habe "seinem Ruf als Hauptstadt des Chaos wieder einmal alle Ehre gemacht".
Hertha BSC: Sportlich, finanziell und personell in der Krise
Genau da passe Hertha doch bestens hin, ätzte zuletzt so mancher Kritiker mit Blick auf die nunmehr dritte Saison hintereinander im Tabellenkeller, Millionen an Verbindlichkeiten und des Rückzugs des CEO Carsten Schmidt in dieser Woche nach nicht mal zehn Monaten im Amt.
"Chaos-Klub Hertha: Der Boss schmeißt nach einem Jahr hin!", titelte die Hamburger Morgenpost daraufhin. Und die Süddeutsche Zeitung hatte schon vor einigen Wochen ihren Podcast überschrieben mit: "Big Chaos Club."
Nächstes Spiel
Diesen nahe liegenden Eindruck wies Schmidt auf seiner Abschieds-Pressekonferenz allerdings vehement zurück. "Mich hat es wahnsinnig aufgeregt, wenn wir als Chaos-Klub bezeichnet wurden. Ein Chaos ist ein ungeordneter Haufen, der nicht weiß, was er tut. Das ist aus meiner Sicht in meiner Zeit zu keinem Zeitpunkt bei Hertha der Fall gewesen", sagte er.
Hertha ein Chaos-Klub? "Da kann ich mich nur totlachen"
Und der neben ihm sitzende Gegenbauer erklärte zu den Chaos-Klub-Vergleichen: "Da kann ich mich auch nur totlachen." Zumal er im RBB auch ergänzt hatte, wie genau er seinen zu Beginn zitierten Vergleich zwischen Hertha und Hauptstadt gemeint hat: "Berlin ist schwierig, interessant, vielfältig, divers - und auf der anderen Seite wahnsinnig aufgeregt."
Stimmt auch beides. Vor einigen Jahren hat Hertha eigens ein Leitbild erarbeitet, das sich an den vom Präsidenten genannten Punkten orientiert, unter dem Motto: "Die Zukunft gehört Berlin". Dieses nahm Schmidt nach seinem Amtsantritt als Grundlage für das Projekt "Goldelse", durch das nach intensiven Analysen im Sommer konkrete Maßnahmen zur Optimierung des Klubs für die nächsten vier Jahre verabschiedet wurden. "Ich sehe Hertha BSC mit einem klaren Plan für die Zukunft ausgestattet", sagte Schmidt damals.
Doch nun ist der Hoffnungsträger auch des Investors Lars Windhorst auf einen Aufbruch in die goldene Zukunft nach nicht mal einem Jahr wieder Geschichte. Aus "ausschließlich unauflösbaren privaten Gründen aufgrund von Krankheit in meinem direkten familiären Umfeld" gab Schmidt sein Amt mit sofortiger Wirkung auf.
"Bei Hertha geht schief, was nur schiefgehen kann"
Persönlich ein nachvollziehbarer Schritt, für den Verein aber wieder mal eine Hiobsbotschaft zur Unzeit. "Manche glauben inzwischen sogar, dass bei Hertha schiefgeht, was nur schief gehen kann", fasste der Berliner Tagesspiegel die triste Stimmungslage treffend zusammen.
So mancher fürchtet nun, dass die Alte Dame wieder in alte Muster der Zeit vor Schmidt zurückfallen wird. "Der Verein stagniert nicht nur sportlich, die gesamte Entwicklung des Vereins ist sogar rückläufig", sagt ein Insider. Fakt ist jedenfalls, dass sich Gegenbauer und sein langjähriger Finanz-Geschäftsführer Ingo Schiller nun nicht mehr mit einem CEO auseinandersetzen müssen, der so manch verkrustete Struktur aufbrechen wollte.
Dabei bräuchte der Traditionsverein tatsächlich frischen Wind, um seine überregionale Graumäusigkeit zu überwinden und analog zu den Topteams aus anderen Großstädten weltweit tatsächlich zu jenem "Big City Club" zu mutieren, den sich Investor Windhorst erhoffte.
Windhorst: 374 Millionen bislang ohne "return of invest"
Der Geschäftsmann hat seit seinem Einstieg vor mehr als zwei Jahren mit seiner Tennor Holding 374 Millionen Euro in die Hertha gepumpt, doch von einem "Return of invest", wie man es in Windhorsts Kreisen nennt, ist bislang nichts zu erkennen.
Imago ImagesInsgesamt hatte der zweimalige Deutsche Meister (1930 und 1931) bis zum Ende der Hinrunde 20/21 auch wegen der Corona-Pandemie Verbindlichkeiten von über 122 Millionen Euro angehäuft, ein Drittel von Windhorsts Geldern sind also bereits wieder weg. Und Experten rechnen damit, dass bei einem ähnlichen Kurs in vier bis fünf Jahren die Liquidität aufgebraucht sein könnte. "Hertha ist wie ein Fass ohne Boden“, konstatierte der RBB in seinem sehenswerten Bericht.
Hertha BSC: Keine großen Namen, keine großen Ziele
Statt wie von Windhorst erhofft (und angeblich auch versprochen) große Namen nach Berlin zu holen, um die Mannschaft damit deutlich attraktiver zu machen und sportlich anzugreifen, ist von ambitionierten Zielen nichts zu spüren. Der treue Pal Dardai steht sinnbildlich für die alte Hertha, die den Status quo verwaltet und sich als Underdog durch die Liga quält. Gut möglich, dass Herthas Rekordspieler nach dem schlechtesten Saisonstart seit der Abstiegssaison 2009/2010 bei einer Niederlage am Samstag in Frankfurt zum zweiten Mal nach 2019 wieder in die Jugendabteilung versetzt wird.
Doch offenbar zweifelt der neue starke Mann, Sport-Geschäftsführer Fredi Bobic, ob ein anderer Trainer wie der zuletzt gehandelte Domenico Tedesco das Ruder herumreißen kann. Zu mittelmäßig präsentierte sich die zusammengewürfelt wirkende Truppe in der bisherigen Spielzeit, zumal Hoffnungsträger wie der Brasilianer Mattheus Cunha abgegeben wurden. Dem Vernehmen nach, weil bis zu 30 Millionen Euro eingespart werden mussten.
Investor Windhorst bei der Hertha: Wenig Einfluss, keine Macht
Dass Windhorst sich das anders vorgestellt hat und nach wie vor vorstellt, braucht man nicht eigens zu erwähnen. Ihn stört vor allem die von Anfang an fehlende Einbindung durch Gegenbauer und Co. Viele haben den Eindruck, dass der seit 13 Jahren amtierende Präsident die Millionen gerne angenommen hat, gleichzeitig aber nicht bereit ist, einen Teil der Macht an den Geldgeber abzugeben. Der Verein bestimme, wo es langgeht, und nicht der Investor, hat Gegenbauer auch mehrfach klargemacht.
Dabei gehören Windhorst 64,7 Prozent der Fußball KgaA, aber im entscheidenden Gremium, dem Beirat, ist er gegenüber dem Präsidium bei sämtlichen Entscheidungen in der Minderheit. "Ich habe erwartet, dass man mehr als Team konstruktiv und positiv an Projekten und Themen arbeitet, sich austauscht und wirklich mit Freude, Kreativität und Dynamik den Verein entwickelt und auf eine neue Ebene hebt. Dazu ist es bisher nicht so richtig gekommen", bestätigte der gebürtige Ostwestfale dem RBB .
Imago Images"Jeder Kleinsponsor bei einem Zweitligisten wird mehr hofiert als Windhorst bei der Hertha", wundert sich ein Kenner. Wie zu hören ist, soll Gegenbauer dem Investor von Beginn an dringend abgeraten haben, mit den Anhängern in direkten Kontakt zu treten oder gar auf Mitgliederversammlungen aufzutreten. Denn die Mehrheit der Mitglieder stünde ihm wegen der 50+1-Regel skeptisch bis ablehnend gegenüber.
Windhorst will erstmals auf Mitgliederversammlung sprechen
Windhorst hingegen hat laut eigener Aussage ein ganz anderes Bild von der Stimmung, nachdem er sich seit einigen Monaten in den sozialen Medien rege mit Fans austauscht. Daher hat sich das Hertha-Mitglied entschlossen, auf der Mitgliederversammlung im November zu erscheinen und dort auch zu sprechen. Einen Sturz des Präsidiums oder gar eine Übernahme der Macht habe er aber nicht geplant, ist zu hören.
Zudem hat der 44-Jährige bekräftigt, an seinem millionenschweren Engagement festzuhalten, weil der "Point of no return" ohnehin überschritten sei. Bedeutet: Würde sich der Unternehmer jetzt zurückziehen, würde er massive Verluste machen.
So bleibt die Frage, wie lange Windhorst noch bei seiner öffentlichen Zurückhaltung gegenüber der Vereinsführung bleibt. Zwar wurde Gegenbauer erst vor einem Jahr bis 2024 wiedergewählt, allerdings auch aus Mangel an Alternativen: Obwohl er ohne Gegenkandidaten antrat, erhielt der 71-Jährige gerade mal 54 Prozent Zustimmung.
Hertha BSC: Könnte Wowereit zum Gegenbauer-Herausforderer werden?
Bislang allerdings findet sich wie schon in der Vergangenheit kein geeigneter Herausforderer gegen den ewigen Präsidenten. Der Tagesspiegel brachte vergangenen Monat den langjährigen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit ins Gespräch, wenngleich der Vorschlag bislang nicht mehr als ein spannendes Gerücht ist:
"Falls Windhorst die Auseinandersetzung mit der gegenwärtigen Führung nicht nur sucht, sondern auch gewinnt, könnte ein Name ins Spiel kommen, an den (noch) keiner denkt: Klaus Wowereit. Der als Präsident - das würde hohe Wellen schlagen. Nicht nur in Berlin."