Ex-U17-Nationalspieler Jan Engels im Interview: "Er hat doch super operiert, es war halt leider das falsche Bein"

Als 17-Jähriger spielte Jan Engels in der Jugend des Karlsruher SC und hatte zuvor Angebote von Borussia Dortmund und Bayer Leverkusen ausgeschlagen. Doch als der damalige deutsche Junioren-Nationalspieler im Frühjahr 2015 der U17-Weltmeisterschaft entgegenfiebert, stellte ein folgenschwerer Kunstfehler seine Welt auf den Kopf.

Im Interview mit Goal und SPOX spricht Engels über seine Leidensgeschichte und erklärt, wie ihm am College in den USA der Neuanfang gelang. Zudem verrät er, wie er nach sechs Jahren das Vertrauen in seinen Körper zurückgewinnen konnte und wieso es ihm heute weiterhin schwerfällt, Bundesliga-Spiele anzusehen.

Herr Engels, wie sehen Ihre ersten Erinnerungen aus, wenn Sie an den Mittag des 28. April 2015 zurückdenken?

Jan Engels: Ich bin nach meiner OP im Aufwachraum mit Tränen in den Augen wieder zu mir gekommen, hatte unfassbar starke Schmerzen und das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmen kann. Dann wurde ich in mein Zimmer gebracht, wo meine Mutter auf mich wartete. Sie arbeitet als Kinderkrankenschwester und hat daher medizinisches Know-how. Sie beruhigte mich und sagte, es sei ganz normal, dass ich mich nach dem Eingriff so fühle. Die Schmerzen wurden jedoch immer schlimmer und nach etwa 15 Minuten bat ich meine Mutter, mal nach meinem operierten Fuß zu schauen.

Und dann?

Engels: Sie hob die Decke hoch und ich konnte zunächst gar nicht glauben, was ich sah: Mein linkes Bein war verbunden, Schrauben und Platten steckten in meinem linken Fuß. In diesem Moment habe ich alles an mir vorbeifliegen sehen.

Sie hatten sich eigentlich am rechten Fuß verletzt.

Engels: Genau. Ich hatte mir im rechten Fuß das Syndesmoseband gerissen.

Wie bitteschön kann es passieren, dass jemand am falschen Fuß operiert wird?

Engels: Das habe ich mich natürlich auch gefragt und noch unter Schock stehend das Gespräch mit dem Arzt gesucht. Er hat versucht, sich zu erklären und meinte zunächst, im anderen Bein wäre eine Fehlstellung gewesen. Ärzte dürfen solche Fehler wohl nicht zugeben. Er kam dann an mein Bett, hat mit mir gesprochen und dabei geweint. Irgendwann habe ich ihm gesagt: "Sie haben doch super operiert, es war halt leider das falsche Bein." In dem Moment konnte ich nicht mal weinen, ich war einfach hilflos und habe ihn nur gebeten, die Schrauben aus meinem zuvor gesunden Fuß zu holen. Noch am selben Tag hatte ich meine zweite OP unter Narkose, obwohl man das normalerweise nicht macht.

"Dieses Gefühl der Hilflosigkeit werde ich nie vergessen"

Vor dem zweiten Eingriff hatten Sie also kaum Zeit, um über die Situation nachzudenken.

Engels: Das war wahrscheinlich auch gut so. Ab diesem Moment war ich ein völlig anderer Mensch, da ist irgendetwas mit mir passiert. Es wurde damals auch darüber nachgedacht, mich in der BG Klinik Bochum operieren zu lassen, aber ich bestand darauf, im gleichen Krankenhaus zu bleiben. Ich wollte es einfach hinter mir haben. Nach der zweiten Vollnarkose habe ich erstmal mindestens einen halben Tag geschlafen. Ich erinnere mich noch, wie ich danach das erste Mal im Rollstuhl saß und die Krankenschwestern nach mir schauten, als ich auf die Toilette gehen wollte. Dieses Gefühl der Hilflosigkeit werde ich nie vergessen.

Operierte Sie beim zweiten Mal derselbe Arzt?

Engels: Ja, ich habe dafür meine Zustimmung gegeben und auch für mich entschieden, nicht gegen den Arzt vorzugehen und auf eine Anzeige zu verzichten. Wir sind alle nur Menschen und machen Fehler. Ich war damals jung, würde heute aber genauso vorgehen. Im gesamten Prozess wurden mehrere Fehler gemacht, es war nicht nur die Schuld des operierenden Arztes. Bereits auf der Station wurde versäumt, den Knöchel zu markieren und danach wurden mehrere kleinere Fehler gemacht.

Sie spielten damals in der U17 des Karlsruher SC und waren U17-Nationalspieler. Wurden Sie unter Druck gesetzt, gegen den Arzt vorzugehen?

Engels: Von außen haben alle Druck auf mich ausgeübt. Glücklicherweise hat mich meine Familie in all meinen Entscheidungen unterstützt. Danach habe ich noch versucht, dass möglichst wenige und schon gar keine Journalisten etwas von dem Vorfall mitbekommen. Ich habe mich zurückgezogen und weiterhin insgeheim darauf gehofft, bei der anstehenden U17-Weltmeisterschaft dabei sein zu können – obwohl ich eigentlich schon wusste, dass mein Traum bereits geplatzt war.

Wie war es überhaupt zu der Verletzung gekommen?

Engels: Wir hatten ein Heimspiel gegen den VfB Stuttgart, mit dem wir damals um die Deutsche Meisterschaft gekämpft haben. Da habe ich mich in einer Zweikampfsituation bei einem Ausfallschritt unglücklich verletzt.

Haben Sie gleich gemerkt, dass es etwas Ernstes ist?

Engels: Ja und nein. Da ich zu dieser Zeit so gut drauf war und die Deutsche Meisterschaft vor Augen hatte, habe ich noch bis kurz vor Schluss weitergespielt. Gleichzeitig habe ich schon gespürt, dass ich mich wohl ernsthafter verletzt habe. Zunächst wollte das keiner glauben, auch nach dem Spiel sah eigentlich alles gut aus, aber am nächsten Tag fing der Fuß plötzlich an zu schmerzen. Beim MRT kam dann eben heraus, dass ich mir das Syndesmoseband gerissen hatte.

War sofort klar, dass eine OP notwendig sein würde?

Engels: Das haben mir die Ärzte ganz klar vermittelt. Ich wollte das nicht alleine in Karlsruhe durchstehen, weshalb ich die Anfrage gestellt habe, mich in meiner Heimat operieren zu lassen. Ich bekam dann grünes Licht und wurde noch in derselben Woche operiert. Es ging total schnell, weil alle wussten, dass ich Junioren-Nationalspieler war und die Weltmeisterschaft anstand. Mir war natürlich bewusst, dass ich die anstehenden Spiele in der EM-Qualifikation verpassen würde, aber ich habe zu diesem Zeitpunkt komplett daran geglaubt, es noch zur WM zu schaffen.

"Um solche Opfer zu bringen, musst du schon ein wenig verrückt sein"

Nach der misslungenen OP mussten Sie das Laufen neu erlernen. Stand in dieser Zeit auch ein vorzeitiges Karriereende im Raum?

Engels: Einige Ärzte haben damals davon gesprochen, aber das waren keine Sportärzte, weshalb ich erstmal relativ ruhig blieb. Meine Gedanken drehten sich wirklich wie besessen um die Weltmeisterschaft, auf die ich, seit ich 14 war, hingearbeitet hatte. Bei meinem früheren Verein TuS Koblenz hatte mich mein Trainer noch ausgelacht, als ich sagte, ich wolle eines Tages U16-Nationalspieler werden. Ich habe es dann weit gebracht, aber leider nur bis zu diesem Punkt.

Bereits als 14-Jähriger hatten Sie so ein konkretes Ziel im Kopf?

Engels: Als Leistungssportler musst du dir hohe Ziele setzen und felsenfest an dich und deine Fähigkeiten glauben. Die Leistungsdichte im Fußball ist enorm. Wie sollen andere an dich glauben, wenn du selbst nicht an dich glaubst? Ich bin mit 15 zuhause ausgezogen, um mein großes Ziel zu erreichen, an der WM teilzunehmen und Profi zu werden. Um solche Opfer zu bringen, musst du schon ein wenig verrückt und besessen von deinem Ziel zu sein. 

In dieser Zeit spielten Sie noch bei TuS Koblenz, bevor Sie als 16-Jähriger in die Jugend des Karlsruher SC wechselten.

Engels: Ich wurde bereits als U16-Spieler in die Nationalmannschaft berufen. Von der TuS Koblenz zu kommen und plötzlich mit Georgios Spanoudakis vom FC Barcelona zusammenzuspielen oder mit Felix Passlack vom BVB das Zimmer zu teilen, war schon ein komisches Gefühl. In diesem Jahr habe ich gemerkt, dass es richtig losgeht.

Sie bestritten für die U16- und die U17-Nationalmannschaft insgesamt neun Länderspiele, spielten unter anderem mit Niklas Dorsch, Ridle Baku oder auch Aymen Barkok zusammen. Wem haben Sie damals eine Profikarriere zugetraut?

Engels: Das ist schwer zu sagen. Ich bin zwar sehr zielstrebig, zugleich aber auch bodenständig und realistisch genug gewesen, um zu wissen, dass man als U17-Nationalspieler nicht automatisch Profi wird. Aber ich habe bereits gemerkt, dass der 98er-Jahrgang ziemlich gut war. Bei Salih Özcan hat man beispielsweise schon damals den Biss gesehen. Mit solchen Spielern zusammenzuspielen, die das gleiche Ziel verfolgen und dafür alles geben, hat mich sehr inspiriert.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit der Zeit in der U16 und U17?

Engels: Zum Ende meiner Zeit in Koblenz hatte ich von fast allen Bundesliga-Mannschaften Angebote vorliegen. Hannes Wolf, der heute Leverkusen trainiert und den ich immer noch sehr schätze, wollte mich nach Dortmund holen. Ich entschied mich aber für Karlsruhe, weil die Durchlässigkeit zu den Profis dort deutlich höher war. Außerdem überzeugte mich Tim Walter, der ein Wahnsinnstrainer ist und später leider zu Bayern München wechselte, als ich in die U19 kam. In der U17 spielten wir unter Lukas Kwasniok um die Deutsche Meisterschaft und Walter zog mich sogar für ein Spiel gegen den FC Bayern in die U19 hoch. Zu dieser Zeit habe ich mich super gefühlt und habe wirklich gute Spiele abgeliefert. Besonders nach meinem U17-Jahr, in dem es auch in der Nationalelf super lief, hatte ich ein gutes Gefühl, Fußballprofi werden zu können.

Jan Engels UTRGV VaquerosUTRGV Vaqueros

"Es ist für mich nicht so leicht, Bundesliga-Spiele anzusehen"

Dann kam die Verletzung sowie die misslungene OP und sie mussten eine langwierige Reha absolvieren.

Engels: Es lief sehr schleppend und ich habe schnell meine Muskeln verloren. Ich durfte aber schon früh wieder auf Krücken gehen, da im fälschlicherweise operierten Bein nur der Knochen von den Schrauben und Platten betroffen war. Trotzdem war es nicht leicht und vor allem eine Kopfsache. Ich dachte damals, ich mache jetzt meine Reha und danach bin ich wieder auf dem Platz, aber so läuft das leider nicht. Deshalb habe ich auch einen großen Respekt vor Marco Reus, der immer und immer wieder zurückkommt. Psychisch ist das ein riesiger Aufwand. Gleichzeitig siehst du deine Jungs auf dem Trainingsplatz und verfolgst deine Kollegen von der Nationalelf. Salih Özcan unterschrieb damals seinen ersten Profivertrag in Köln und Felix Passlack unter Thomas Tuchel bei Borussia Dortmund. Das war für mich keine leichte Situation.

Zudem mussten Sie der U17 zusehen, wie sie in Bulgarien Vize-Europameister wurde und in Chile bei der Weltmeisterschaft antrat.

Engels: Die Jungs spielten damals eine hervorragende Europameisterschaft und verloren erst im Finale mit 1:4 gegen Frankreich. Auch die Spanier, gegen die wir zuvor nicht viel Land gesehen hatten, bezwang das Team im Viertelfinale im Elfmeterschießen. Bei der WM schlugen sie sich ebenfalls gut und schieden im Achtelfinale gegen Kroatien aus. All das von zuhause verfolgen zu müssen mit dem Wissen, dass man eine Chance gehabt hätte, dabei zu sein, war sehr hart. Ich habe mir deshalb auch nicht alle Spiele angesehen.

Wie hat Sie Ihre Verletzung als Mensch verändert?

Engels: Ich würde es so beschreiben, dass ich innerhalb von drei Monaten eine Persönlichkeitsentwicklung durchgemacht habe, die normalerweise fünf Jahre dauert. Mein Traum hat sich sofort verändert. Ich wusste zwar, dass ich es noch kann, aber mein Ziel ist immer weiter in die Ferne gerückt. Die Chance, es aus der Jugend eines Bundesliga-Klubs in den Profikader zu schaffen, liegt vielleicht bei ein bis drei Prozent. Mir war bewusst, dass man dazu auch Glück benötigt.

Wie lange haben Sie gebraucht, das Vertrauen in Ihren Körper zurückzugewinnen?

Engels: Das dauerte bis zum aktuellen Jahr. Im vergangenen Januar habe ich zum ersten Mal meinem Körper wieder vollständig vertraut. Ich hatte immer wieder Verletzungen und konnte nie viele Spiele ohne Unterbrechung bestreiten. Mein Trainer in den USA sagte mir vor dieser Saison: "Jan, du kannst machen, was du möchtest. Werde einfach fit und versuche, zehn Spiele am Stück zu spielen." Bis dahin schaffte ich höchstens fünf Spiele, weil mein Körper einfach nicht mehr konnte. Jetzt bin ich zum ersten Mal wieder seit einem halben Jahr verletzungsfrei. Ich fühle mich super und merke, dass ich plötzlich wieder besser werde. Dadurch fällt immer mehr der Druck ab, den ich mir selbst gemacht habe. Ich kann mich wieder entwic­­keln und mein Körper lässt es zu.

Denken Sie heute noch manchmal darüber nach, wie Ihre Karriere verlaufen wäre, wenn die Verletzung nicht gewesen wäre?

Engels: Leider ja. Wenn mich Leute darauf ansprechen, versuche ich mittlerweile mit Humor damit umzugehen, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Einerseits mache mich gerne ein wenig darüber lustig und rede mir ein, dass ich heute sonst nicht dort wäre, wo ich jetzt bin, andererseits tut es immer noch weh – besonders Spieler zu beobachten, wie sie im Profibereich Fuß fassen. Es ist für mich nicht so leicht, Bundesliga-Spiele anzusehen.

Jan Engels TuS KoblenzIMAGO / Eibner

"Ich war plötzlich wieder ein ganz normaler Junge - und genau das wollte ich nie sein"

Welche Personen haben Ihnen in der Zeit nach der Verletzung besonders geholfen?

Engels: Ich habe meine Familie in dieser Zeit etwas abgeblockt, weil ich einfach sehr traurig war und mich allein gefühlt habe. Mein gesamtes Selbstwertgefühl basierte auf Fußball. Nach der Verletzung habe ich mich auf einmal wertlos gefühlt - alles machte für mich keinen Sinn mehr. Ich war plötzlich wieder ein ganz normaler Junge - und genau das wollte ich nie sein. Meine Reha dauerte dann fast zwei Jahre, weil ich immer wieder kleinere Verletzungen erlitt und nie wirklich in den Rhythmus kam. Auch das Jahr in der U19 war nicht besonders gut. Man entwickelt sich in der Jugend vor allem durch Spiele weiter und diese zwei wichtigen Jahre fehlten mir. Meine Technik oder auch meine Vororientierung waren einfach nicht mehr so gut wie vor der Verletzung. Zusätzlich liefen auch intern beim KSC ein paar Dinge ab, bei denen ich einfach zur falschen Zeit am falschen Ort war. Danach war ich erstmal in einem Loch. Es gab in der U19 zwar auch zwei oder drei Spiele, nach denen ich dachte, es geht ja doch, aber mental war ich nicht mehr auf der Höhe.

Wie gingen Sie mit dieser Situation um?

Engels: Ich habe mit einem Psychologen zusammengearbeitet, um mein Selbstvertrauen wiederzuerlangen, was mir damals oft als Schwäche ausgelegt wurde. Ich glaube, dass man psychologische Beratung in Nachwuchsleistungszentren in Zukunft stärker implementieren sollte. Als Leistungssportler ist es nicht einfach, mit diesem Druck umzugehen – besonders nach Verletzungen. Auch in der Schule ging gar nichts mehr. Wenn es im Fußball nicht lief, war das Leben für mich schlecht und wenn das Leben schlecht war, lief es auch in der Schule nicht mehr. Das war eine Kettenreaktion. Mir wurde aber schnell klar, dass ich mein Abitur machen sollte und danach noch ein Jahr versuchen kann, Fußball zu spielen.

In der U19 des KSC bekamen Sie jedoch nicht mehr viel Spielzeit.

Engels: Deshalb ging ich wieder in die Regionalliga Südwest nach Koblenz, was natürlich erstmal ein Schritt zurück war. Als 19-Jähriger in der Regionalliga zu spielen, hörte sich dennoch zunächst gut an, doch nachdem ich schon wieder ein wenig Fuß gefasst hatte, zog ich mir eine Schambeinentzündung zu. Nach der Verletzung war nichts mehr wie zuvor. Mein Körper wollte einfach nicht. Die Schambeinverletzung setzte mich insgesamt 15 Monate außer Gefecht. Ich machte damals mein Sabbatjahr nach dem Abi, in dem ich immer noch auf den Traum fokussiert war, Profi zu werden. Meine Eltern wollten, dass ich danach anfange zu studieren, wenn es in diesem Jahr nicht funktionieren sollte.

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"Ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben"

Dann kam Tony Mamodaly ins Spiel, der als junger Spieler in Hoffenheim, Karlsruhe und Dresden eine ähnliche Geschichte wie Sie erlebt hatte und heute eine Agentur führt, die europäische Talente in die USA vermittelt.

Engels: Tony hatte von meiner Geschichte gehört und rief mich an. Er erzählte mir, dass er eine ähnliche Story wie ich hinter sich hatte. Auch er hatte das klare Ziel, Profi zu werden, lief sogar im Handball und im Fußball für die Nationalelf auf, doch auch seine Karriere nahm einen unverhofft negativen Verlauf.  Am Anfang fragte ich mich, was er von mir will. Durch Spielerberater wird man oft geblendet und ich redete mir ein, Tony wäre genauso. Doch dann fragte er mich, ob wir uns treffen könnten. Er erzählte mir seine Geschichte und ich habe mich sofort darin wiedergefunden. Das gab mir auch einiges an Selbstvertrauen zurück - damals telefonierten wir fast täglich.

Was entwickelte sich aus diesem Austausch?

Engels: Ich hatte zu diesem Zeitpunkt schon entschieden, dass ich studieren wollte, was mit den Trainingszeiten in der Regionalliga allerdings kaum zu vereinbaren ist. Dann kam Tony und sagte mir, dass all meine Rückschläge nicht umsonst gewesen sein könnten und ich mich und meine Träume nicht aufgeben solle. Er erzählte mir von der Möglichkeit, in den USA am College Fußball auf hohem Niveau und Studium verknüpfen zu können.  Du kannst dort täglich professionell trainieren, gehst drei- bis fünfmal die Woche in den Kraftraum und fliegst zu deinen Auswärtsspielen. Mein Englisch war zwar sehr schlecht, aber ich habe gesagt: "Ich will einfach nur weg." Ich wollte nicht zwingend in die USA, aber das war für mich der einzige Weg raus aus meinem damaligen Leben und die Chance, noch etwas aus meinem Talent zu machen.

Über Mamodalys Agentur Mind Game Sport kamen Sie an ein Angebot über ein Vollstipendium der Louisville Cardinals, doch es stellte sich heraus, dass Sie in der College-Liga NCAA nicht spielberechtigt waren. Was war das Problem?

Engels: Etwa zwei Wochen bevor ich nach Louisville gehen sollte, wurde mir mitgeteilt, dass ich keine Spielgenehmigung habe, da meine Länderspiele als Profi-Einsätze gewertet wurden. Ich dachte, es würde ein neues Leben anfangen, doch meine Verletzung verfolgte mich und ich traf auf das nächste Hindernis. Ich ging auf eine Partnerschule in Kentucky, deren Team in der NAIA spielte, und sollte nach einem Jahr nach Louisville wechseln. Doch dann ging der Trainer, mit dem die Abmachung getroffen wurde, und unsere mündliche Absprache war nichtig. Der neue Trainer meinte, er wolle keinen Spieler aufnehmen, der aus einem schlechteren Verband kommt. Dabei war ich nur in die NAIA gewechselt, um anschließend in Louisville spielen zu können. Es waren noch zwei Wochen, bevor die Vorbereitung starten sollte, und ich hatte plötzlich keine Uni mehr. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits so gut wie alle Teams ihre Kader voll und ich hatte schon fast die Hoffnung aufgegeben. Glücklicherweise hat Tony mich aus dieser Situation rausgeholt und mich an das renommierte Programm der University of Texas vermittelt.

Was waren in den USA die größten Herausforderungen?

Engels: Seit ich 14 war, bin ich von zuhause weg gewesen. Ich habe kein Heimweh und mir fällt es leicht, Leute kennenzulernen und neue Freundschaften zu schließen. Ich brauchte aber Zeit, um mich einzuleben. Gleichzeitig habe ich mir auch selbst mentalen Druck aufgebaut, weil ich mir den MLS-Draft als neues Ziel in den Kopf gesetzt hatte. Mittlerweile habe ich mich davon frei gemacht. Klar wäre es super, den Sprung in die MLS zu schaffen, aber mir ist bewusst, dass das schon alleine aufgrund der International Roster Regulations in der Liga schwer wird. Daher nutze ich die aktuelle Phase, um mich intensiv auf einen Wechsel zurück nach Europa vorzubereiten.  Das ist zwar ein ungewöhnlicher Weg, aber ich möchte mir beweisen, dass es gehen kann. Und selbst wenn es im Anschluss nichts mehr mit einer Profikarriere wird, bin ich trotzdem glücklich. Denn dann hat mir der Fußball eben die Tür zu einem Master-Abschluss, fünf Jahren Auslandserfahrung, perfekten Englischkenntnissen und einem globalen Netzwerk eröffnet. So denke ich momentan von Schritt zu Schritt. Und seit ich mir nur noch kleine Ziele setze und aus dieser Haltung der Dankbarkeit agiere, läuft alles wie geschmiert. Im Sommer werde ich auch bei den Rio Grande Valley Toros mittrainieren – einem Profi-Klub aus der 2. US-amerikanischen Liga.

Trotz des harten Einschnitts sind Sie dem Fußball immer treu geblieben. Hatten Sie auch einmal darüber nachgedacht, dem Fußball gänzlich den Rücken zu kehren?

Engels: Tatsächlich noch nie. Wenn ich mir einrede, ich hätte keine Lust mehr auf Fußball, dauert es vielleicht zwei Tage und schon kribbeln die Füße wieder. Ich wurde im Nachwuchsleistungszentrum großgezogen und der Fußball wird immer ein Teil von mir bleiben.

Wenn Sie auf Ihren bisherigen Weg zurückblicken: Was hätten Sie im Nachhinein anders gemacht?

Engels: Könnte ich noch einmal entscheiden, wäre ich damals zu Borussia Dortmund oder einem anderen größeren Klub gewechselt, denn am Ende zählt immer der Lebenslauf. In meinem Jahrgang spielten damals beim BVB Christian Pulisic, Felix Passlack und Dzenis Burnic. Das Team hat drei Deutsche Meisterschaften geholt und im Nachhinein wäre ich gerne ein Teil davon gewesen.

* Dieses Interview wurde im August 2021 geführt

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