Es lief die 51. Minute des Champions-League-Endspiels 2018 zwischen Real Madrid und dem FC Liverpool, als Reds-Keeper Loris Karius einen langen Ball der Madrilenen aufsammelte und sofort wieder abwerfen wollte. Dabei übersah er Karim Benzema, den Stürmer der Königlichen, der sein Bein in die Wurfbahn hielt und den Ball ins Tor der Reds blockte. Karius verschuldete ganz alleine das Führungstor Madrids.
Nach dem Ausgleichstreffer von Sadio Mané nur vier Minuten später zirkelte Gareth Bale einen Fallrückzieher unhaltbar links oben in den Winkel. Der LFC konnte zwar zum Ende des Spiels kaum noch Chancen herausarbeiten, doch für die Vorentscheidung sorgte dann ein erneuter Torwartfehler: Bale zog in der 83. Minute aus der Distanz ab, der Ball kam zentral etwa zwei Meter über dem Boden auf Karius zu. Die Kugel rutschte dem gebürtigen Biberacher über die Handschuhe ins Netz zur 1:3-Niederlage.
"Es tut mir total leid für Loris. Das wünscht man seinem schlimmsten Feind nicht", sagte Liverpools Trainer Jürgen Klopp anschließend.
Im Nachhinein wurde eine brisante Info bekannt: Nur zwei Minuten vor seinem ersten großen Patzer hatte Karius offenbar eine Gehirnerschütterung erlitten. Bei einem Luftduell im Strafraum zwischen Virgil van Dijk und Sergio Ramos traf der Spanier Karius mit dem Ellenbogen am Kopf.
GettyDer behandelnde Arzt Dr. Ross Zafonte verkündete damals, der Torwart habe eine "visuelle räumliche Dysfunktion" erlitten. Doch obwohl der Torhüter damit eine Begründung für seine Fehler lieferte, änderte es an den Folgen dieses Horror-Endspiels nichts mehr.
Nächstes Spiel
Loris Karius wechselt zu Besiktas
Zwei dicke Patzer im wichtigsten Spiel der Saison - das darf einem Torwart einfach nicht passieren. Für Liverpool war es ein Grund, mächtig zu investieren: Kolportierte 62,5 Millionen Euro überwiesen die Reds an CL-Halbfinal-Gegner AS Rom, um Keeper Alisson Becker an die Anfield Road zu lotsen. Und das, obwohl er in den Halbfinal-Spielen zusammen sieben Tore eingeschenkt bekam.
Damit war klar: Karius' Zeit in Liverpool ist vorbei. Weil Ersatztorhüter Simon Mignolet am ersten Spieltag der Folgesaison ausfiel, wurde Karius noch ein letztes Mal für den Kader des FC Liverpool nominiert. Doch er spielte nach dem Finale in keinem einzigen Pflichtspiel mehr für die Reds.
Stattdessen folgte ein Leihgeschäft zu Besiktas nach Istanbul. Dort wurde der 1,89-Meter-Mann Stammtorhüter und zeigte zunächst auch gute Leistungen. Deshalb verlängerte der Süper-Lig-Klub um ein Jahr. Doch in der zweiten Saison folgten Patzer. Etwa im ersten Europa-League-Spiel der Saison 2019/20 gegen Slovan Bratislava, als Karius bei einem langen Ball aus dem Tor eilte. Er wollte die Situation mit dem Kopf bereinigen, traf den Ball aber nicht richtig und räumte dabei noch seinen Verteidiger ab, sodass der gegnerische Stürmer Andraz Sporar den Ball ins leere Tor schieben konnte.
Nach einem Gehaltsstreit mit dem Leihverein beendete Karius das Leihgeschäft vorzeitig nach 26 Spieltagen. Er kehrte nach Liverpool zurück und bekräftigte zunächst, keine erneuten Wechselgedanken zu hegen. Er sei beim "besten Verein der Welt", mit dem er um Titel spiele und das höchstmögliche Trainingsniveau habe, erzählte er damals gegenüber Transfermarkt.
Ein Abstecher zu Union Berlin und die neue Chance
Doch dabei blieb es nicht. Der 1. FC Union Berlin war auf der Suche nach einem Nachfolger für den abgewanderten Stammtorhüter Rafal Gikiewicz und wollte ihm eine Chance geben, sich zu beweisen. Der frühere Mainzer wechselte erneut auf Leihbasis zu den Eisernen, konnte sich dort gegen Andreas Luthe aber nicht durchsetzen. Er spielte lediglich in vier Partien, die Luthe verletzt ausfiel, und einmal im DFB-Pokal. Zu seinem letzten Einsatz kam er am 28. Februar 2021 gegen die TSG Hoffenheim.
GettyDieses Spiel vor ziemlich genau zwei Jahren markiert auch das letzte Pflichtspiel von Karius überhaupt, das er bis heute bestritt. Im Sommer 2021 kam kein weiterer Wechsel zustande und so saß er ein volles Jahr beim FC Liverpool auf der Tribüne. Auch als sein Vertrag 2022 auslief, fand der Keeper lange keinen neuen Verein.
Dann bot sich eine Chance: Newcastle Uniteds Ersatztorwart Karl Darlow (mittlerweile an Hull City verliehen) verletzte sich nach Ende des Transferfensters am Sprunggelenk. Weil Karius vereinslos war, konnten ihn die Magpies im September 2022 noch verpflichten und so wurde er zeitweise zur Nummer zwei beim neureichen Premier-League-Klub.
Karius? "Es ist eine herrliche Chance für ihn"
Obwohl er nach der Genesung von Darlow wieder auf die Tribüne wanderte und zum Jahreswechsel Leih-Torwart Martin Dubravka als neue Nummer zwei von Manchester United zurückkehrte, ist Karius plötzlich extrem wichtig für Newcastle. Denn am Sonntag (17.30 Uhr im LIVETICKER) steht das Finale des Carabao Cups gegen Manchester United an. Und: Stammtorhüter Nick Pope wurde nach einer Roten Karte wettbewerbsübergreifend für ein Spiel gesperrt, also ausgerechnet für das Finale!
Obwohl Karius nur die Nummer drei in der Rangfolge ist, darf er nun aller Voraussicht nach ran. Es sei denn, Newcastle entscheidet sich dazu, mit Mark Gillespie die nominelle Nummer vier einzusetzen. Denn Dubravka spielte in der Hinrunde bereits für den Finalgegner United im Pokalwettbewerb und darf damit nicht von einem anderen Team eingesetzt werden.
Gut viereinhalb Jahre nach seinem Horrorabend in Kiew mit anschließendem Karriereknick ergibt sich somit für Karius, der in Newcastle einen Vertrag bis Juni besitzt, unverhofft eine Gelegenheit, seiner Laufbahn neuen Schwung zu verleihen.
Eddie Howe, sein Coach bei den Magpies, freut sich für seinen Schützling. "Es ist eine herrliche Chance für ihn, die Geschichte seiner Karriere umzuschreiben", wird er vom Guardian zitiert: "Das ist das schöne im Fußball. Diese Unvorhersehbarkeit macht es zu so einem spannenden Spiel."
Allerdings schlottern manchem Newcastle-Fan die Knie. Neben überwiegend positiven Reaktionen waren in den sozialen Medien auch Kommentare wie "Karius wird Torhüter für Newcastle im Finale sein. Ich weine" oder "Karius, Mann. Ich habe Herzklopfen" zu finden.
Loris Karius steht unter großem Druck
Unabhängig davon wird Karius bei seinem Pflichtspiel-Comeback unter großem Druck stehen. Das Finale im Carabao Cup ist für Newcastle schließlich die große Möglichkeit, den ersten Titel seit der Übernahme durch das Konsortium aus Saudi-Arabien zu gewinnen.
Und dann heißt der Gegner auch noch Manchester United, das sich unter Trainer Erik ten Hag in überragender Form präsentiert. Die letzten fünf Pflichtspiele wurden gewonnen - seit der WM-Pause verloren die Red Devils nur gegen den FC Arsenal. Und am Donnerstag kegelte United den FC Barcelona aus der Europa League.
Es ist also eine große Verantwortung für Karius - gegenüber Newcastle United, aber auch seiner persönlichen Karriere gegenüber.