EXKLUSIV-INTERVIEW
Marcel Heister ist in Süddeutschland geboren und spielt aktuell mit Ferencvaros Budapest in der Champions League gegen Stars wie Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo. Doch in der Bundesrepublik ist sein Name kaum bekannt - weil der 28-Jährige von Hoffenheim aus einen Umweg über Kroatien und Israel gehen musste, um nach oben zu kommen.
Im Interview mit Goal und SPOX vor dem Champions-League-Spiel bei Juventus Turin (21 Uhr live auf DAZN) spricht Heister über seine einstige Ausbootung bei der zweiten Mannschaft der TSG Hoffenheim und den anschließenden Beginn seines Weges außerhalb von Deutschland.
Der Linksverteidiger erklärt, weshalb es ihn zunächst nach Kroatien zog und wie er später den Konflikt zwischen Juden und Muslimen in Jerusalem wahrnahm. Zudem schwärmt Heister von Ex-Trainer Thomas Doll und verrät, wie sein Aufeinandertreffen mit Messi und CR7 war.
Herr Heister, heute spielen Sie als Linksverteidiger mit Ferencvaros Budapest in der Champions League gegen Lionel Messi und Cristiano Ronaldo, vor acht Jahren sind Sie bei der zweiten Mannschaft der TSG Hoffenheim aussortiert worden. Wie erinnern Sie sich an die damalige Zeit, in der Sie noch als Offensivspieler unterwegs waren?
Marcel Heister: Ich bin mit 17 als Flügelstürmer nach Hoffenheim gekommen. Mit Markus Gisdol und Ernst Tanner haben dann aber die Leute den Verein verlassen, die mich geholt hatten. Gisdol ging zu Schalke und wurde durch Frank Kramer ersetzt. Was dann folgte, war ein sehr großer Schock für mich.
Was ist genau passiert?
Heister: Ich habe zunächst ein paar Spiele unter ihm gemacht, wurde aber immer nur eingewechselt. Selbst als mal ein paar Spieler verletzt waren, brachte er lieber einen Rechtsverteidiger als linken Flügelstürmer. In meinen wenigen Spielminuten gelangen mir aber meist ganz gute Aktionen, vor allem Torvorlagen. Ich konnte es daher nicht verstehen, warum er mich nicht einmal von Beginn ran ließ. Als ich ihn nach rund einem Monat damit konfrontierte, sagte er, dass ich zwar immer einen Impuls bringen, er mir aber nicht vertrauen würde.
Warum nicht?
Heister: Er glaubte nicht, dass ich das, was ich zeige, auch von Beginn an über 90 Minuten zeigen könne. Deshalb hat er dann die Karten offen auf den Tisch gelegt. Er sagte, dass ich nicht Teil seiner Planungen wäre und von nun an nicht mehr mit der Mannschaft trainieren dürfe, weil ich davon nichts hätte.
Und dann?
Heister: Anschließend musste ich ganz allein auf einem Platz für mich trainieren und konnte dabei zuschauen, wie nebenan die gesamte Mannschaft trainierte. Es gab auch andere, die er aussortiert hat, doch die durften noch beim Team sein. Ich war sehr desillusioniert, ich habe das einfach überhaupt nicht verstanden. Ich bin dann fast zwei Monate allein durch den Wald gejoggt. Bis ich gesagt habe: Mir reicht's, das macht mir keinen Spaß mehr.
Ihnen lagen Anfragen aus der 3. Liga vor, doch da Sie kroatische Wurzeln haben, landeten Sie mit Hilfe Ihres aus Kroatien stammenden Vaters und Ihres Onkels im Sommer 2012 bei NK Zadar in Norddalmatien. Wie kam das zustande?
Heister: Die Sache in Hoffenheim hat mich so genervt und ich habe mich so ungerecht behandelt gefühlt. Ich hatte die Schnauze voll und wollte einfach nur noch weg aus Deutschland. Warum nicht einen anderen Weg gehen, dachte ich mir. Ich habe in Kroatien Familie und viele Freunde. Mein Vater und mein Onkel hatten gute Beziehungen und kannten den Klubbesitzer von Zadar. Sie haben ihn gefragt, ob ich mal vorbeikommen könne. Ich kickte dann bei einem Freundschaftsspiel mit, schoss direkt ein Tor und unterschrieb am nächsten Tag einen Vertrag.
Marcel Heister - vom Stürmer zum Linksverteidiger
Hatten Sie damals im Kopf, schnellstmöglich wieder nach Deutschland zurückzukehren?
Heister: Nein, das war nie mein Plan. Ich habe nie neidisch nach Deutschland geblickt. Ich ging davon aus, dass nichts Schlechtes daran sein kann, wenn ich in Kroatien Erstligafußball spiele. Ich war auch überzeugt, dass es für mich nur nach oben gehen kann, wenn ich diszipliniert bin und Leistung zeige.
Es lässt sich vorweg nehmen: Das hat letztlich funktioniert.
Heister: Absolut. Der anschließende Wechsel zu NK Istra 1961 war dann mein erster größerer Transfer, bei dem ich auch für mich gutes Geld verdient habe. Später bei Beitar Jerusalem spielte ich schon in der Europa-League-Qualifikation. Nun bei Ferencvaros haben wir erst die EL-Gruppenphase erreicht und kicken nun in der Champions League. Bei jedem meiner Wechsel ging es ein Stück voran - genauso habe ich mir das immer vorgestellt. Ich wusste, dass ich meine Ziele erreichen kann, auch wenn ich nicht den handelsüblichen Weg gehe. Und dabei habe ich so viele Menschen, so viele unterschiedliche Sprachen und Kulturen kennengelernt, extrem viele tolle Erfahrungen gemacht. Für mich gibt es nichts Schöneres. Das sind Erfahrungen fürs Leben, die mir wichtig sind und mir keiner mehr nehmen kann.
In Zadar machten Sie kein einziges Spiel als Stürmer, sondern wurden zum Linksverteidiger umfunktioniert. Wie kam's?
Heister: Dazu fällt mir immer folgende Geschichte ein: Vor meiner Zeit in Hoffenheim spielte ich beim SSV Reutlingen. Mein ehemaliger Trainer Marco Campanale sagte damals zu meinen Eltern und mir: Glaubt mir, Marcel wird eines Tages Linksverteidiger. Wir haben uns kaputt gelacht. Ich war ein echter Vollblutstürmer. Wenn mich einer als Linksverteidiger aufstellt, höre ich mit dem Fußball auf - das habe ich ihm geantwortet.
Imago Images / Aleksandar DjorovicBild: Imago Images / Aleksandar DjorovicDas haben Sie sich in Kroatien dann nicht getraut.
Heister: Auf einmal hieß es dort tatsächlich, man wolle mich als Linksverteidiger ausprobieren. Nach den ersten Spielen dachte ich, ich verfalle in Depressionen. Ich hatte keinen einzigen Torschuss und nur Flanken geschlagen. Und mittlerweile kann ich mir keine andere Position mehr vorstellen. (lacht) Das war das Beste, was mir passieren konnte.
Heister: "Bei Israel dachte ich: Krieg, um Gottes Willen!"
Nach zwei Jahren in Zadar, in denen man gegen den Abstieg spielte, ging es 2014 dann zu NK Istra nach Pula.
Heister: Dort war Igor Pamic, der in den 1990er Jahren bei Hansa Rostock gespielt hat, mein Trainer. Ihm habe ich sehr viel zu verdanken, weil er extrem an mich geglaubt hat. 'Glaub mir, ich mache aus dir einen richtigen Profi', hat er gesagt. Er hat sehr viel von mir gefordert. Manchmal hat er mich richtig heruntergemacht und ich habe die Welt nicht mehr verstanden, was das sollte. Heute weiß ich, warum er das tat: Er wollte von mir einfach mehr sehen als von anderen und mich kitzeln. Ihm war es auch scheißegal, wie dein Lebensstil aussieht, solange du im Training und im Spiel 100 Prozent gibst.
Apropos: Zadar und Pula liegen jeweils am Meer und sind beliebte Ferienregionen. Da ließ es sich gut aushalten, oder?
Heister: Ja. Schön am Meer leben, ein bisschen in der ersten Liga spielen und ein Jahr lang chillen - überspitzt gesagt habe ich mit diesen Gedanken in Zadar unterschrieben. Ich war zuvor jedes Jahr in Kroatien und wollte einfach abschalten, keinen Stress haben. Trotzdem habe ich immer professionell gelebt und meine Ziele nie aus den Augen verloren. In Kroatien ist aber einfach alles viel lockerer und entspannter. In Deutschland herrscht ein großer Leistungsdruck, es wird sehr viel von einem gefordert.
Nach 78 Pflichtspielen für Istra verließen Sie Kroatien im Jahr 2016 Richtung Israel. Dabei hatten Sie gar nicht auf einen Wechsel gedrängt. Wie sind Sie schließlich bei Beitar Jerusalem gelandet?
Heister: Ich bekam aus dem Nichts einen Anruf des Präsidenten, der mich ins Stadion zitierte. Er legte er mir einen unterschriftsreifen Vertrag hin und meinte, das sei ein sehr gutes Angebot für den Verein und auch für mich. In Kroatien lebt man eben vor allem von Spielerverkäufen. Ich habe mir das angesehen, konnte aber nichts damit anfangen. Bei Israel dachte ich nur: Krieg, um Gottes Willen! Du kannst das Angebot sofort wieder zurückschicken, sagte ich dem Präsidenten.
Der wollte das für den Klub lukrative Geschäft aber nicht so einfach platzen lassen.
Heister: Ich sollte noch einmal genauer darüber nachdenken. Als ich dann im Internet recherchierte, bekam ich einen ganz anderen Eindruck von diesem Land. Ich rief einen Kollegen an, der bei Maccabi Netanya gespielt hat und fragte ihn, wie das Leben in Israel so ist. Er meinte nur: 'Machen! Geh sofort dorthin. Das Leben ist schön, das Land fantastisch, die Leute enorm freundlich.' Ich war verblüfft, denn irgendwie konnte ich mir das nicht vorstellen. Ich bin schließlich trotzdem losgeflogen, um es mir einfach mal anzuschauen.
Was gab dann den Ausschlag für Ihre Zusage?
Heister: Als ich die Mannschaft kennengelernt und mein erstes Training gemacht habe, begrüßten mich alle, als hätte ich schon längst unterschrieben und wäre der neue Star des Teams. Ich habe mich auf Anhieb extrem wohlgefühlt, das war wirklich schön. Irgendwie dachte ich zwar, das könne doch alles nicht sein, aber am nächsten Tag habe ich zugesagt.
Vier Jahre nach dem Aus in Hoffenheim standen Sie dann als Spieler von Beitar in einem Europa-League-Qualifikationsspiel beim AS St. Etienne auf dem Platz. Konnten Sie diese doch ungewöhnliche Entwicklung mal richtig reflektieren?
Heister: Das war insgesamt alles ziemlich verrückt. In Jerusalem war es sehr besonders. Ich hatte eine unglaubliche Unterstützung vom Verein und den Fans. Als ich dann noch das eine oder andere schöne Tor schoss, wurde ich von den Anhängern regelrecht vergöttert. Auf einmal haben 30.000 Fans in Israel meinen Namen geschrien. Oft dachte ich mir: Ich bin doch nur der Marci von der Schwäbischen Alb, ein ganz normaler Junge. Die Leute dort sind so fanatisch, für sie ist Fußball alles. Wenn ich in Jerusalem in ein Restaurant gegangen bin, rannte der Koch aus der Küche und wollte ein Bild machen. Die Leute küssen dich, umarmen dich, heben dich in die Höhe - Fußball ist dort eine ganz andere Geschichte als in Deutschland.
Beitar ist ein Traditionsklub, der auch für die rassistische Ultra-Gruppierung "La Familia" bekannt ist. Diese schlagen immer wieder deutlich über die Stränge. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Heister: Ich konnte die Sprache nicht, daher habe ich auch nicht verstanden, was skandiert wurde. Anfangs war ich verwundert, wenn sie auf einmal gar nicht da waren, weil sie eine Strafe vom Verband bekommen hatten. Grundsätzlich freut man sich Spieler natürlich, wenn eine laute und hitzige Stimmung herrscht. Alles andere muss man im Grunde ignorieren, denn es liegt nicht in der Hand der Spieler, was die Fans tun. Die machen ihr Ding und als Spieler geht man seinem Job nach. Mir persönlich gegenüber waren sie immer positiv und haben mich unterstützt.
Heister: "Warum? Wieso tut jemand so etwas?"
Jerusalem ist eine sehr religiöse und geteilte Stadt, der Konflikt zwischen Muslimen und Juden ist allgegenwärtig. Wie hat das auf Sie gewirkt?
Heister: Der Konflikt wird im Alltag ignoriert und totgeschwiegen, man geht sich aus dem Weg. Es ist augenscheinlich, dass die einzelnen Gruppen genau wissen, wo sie hingehen können und wo nicht. Vieles ist einfach abgesperrt. Auch ich als Christ durfte manche Moscheen, die ich mir anschauen wollte, nicht betreten, weil das eventuell zu Problemen führen könnte. Ich habe zwar direkt im Zentrum gewohnt, aber nie etwas davon gemerkt, wenn es zu Ausschreitungen oder sogar Schießereien kam. Insgesamt geht dort alles sehr hektisch, laut und schnell zu. Eine richtige Großstadt eben. Man merkt schon nach ein paar Minuten, dass man nicht in seiner gewohnten Umgebung ist und das nichts mit Europa zu tun hat.
Waren Sie eigentlich schon immer eher der Typ, der auch auf Abenteuer steht und in seiner Karriere etwas fürs Lebens erleben möchte, wie Sie vorhin sagten?
Heister: Auf jeden Fall. Ich habe noch nie Probleme gehabt, mich irgendwo anzupassen. Ich bin auch nicht schüchtern oder zurückhaltend, sondern gehe gerne auf die Menschen zu und habe kein Problem, mit einem Fremden ein Gespräch anzufangen. Das war und ist für meinen Lebensweg sicherlich ein großes Plus. Ich liebe es, wenn ich wie hier in Budapest mit vielen Spielern aus anderen Kulturen zusammenspiele.
Nach eineinhalb Jahren in Jerusalem, wo Sie um die Meisterschaft kämpften, lagen Ihnen im Januar 2018 Angebote vor. Unter anderem von Ludogorez Rasgrad, das in der darauffolgenden Spielzeit in der CL-Gruppenphase spielen sollte. Beitars Besitzer Eli Tabib lehnte jedoch ab und es kam zum Eklat. Was ist geschehen?
Heister: Es gab über die gesamte Zeit mehrere Offerten für mich. Anfangs hat er alles abgelehnt und wollte nicht mit den Vereinen sprechen. Also habe ich ihn zum Gespräch gebeten, weil ich wieder nach Europa wollte. Ich wollte, dass er wenigstens gesprächsbereit ist und mir keine Türen zuschlägt, sollten wieder Angebote eintreffen. Er hat das auch eingesehen und gab mir seine Hand darauf. Das Gespräch war total positiv.
Wieso ist die Situation dann eskaliert?
Heister: Der Verein hatte die einseitige Option, meinen Vertrag verlängern zu können. Nach meinem Gespräch mit Tabib erhielt ich plötzlich eine Whatsapp-Nachricht, in der stand, dass man genau dies getan hat. Ich konnte es nicht glauben. Er hatte mich einfach angelogen. Das war wieder so eine Situation wie in Hoffenheim, in der ich mich fragte: Warum? Wieso tut jemand so etwas?
Wie sind Sie in der Folge damit umgegangen?
Heister: Ich habe mir gesagt, dass ich kein einziges Spiel mehr für den Verein mache, solange Tabib noch etwas zu sagen hat. Ich wurde ohnehin nur noch selten eingesetzt. Als die Saison vorbei war, flog ich nach Deutschland. Von dort aus habe ich dann eine Art Streik abgehalten, denn als die Vorbereitung losging, bin nicht mehr zurückgereist. Ich habe mich einfach unfair behandelt gefühlt und dachte: Er hört nicht auf mich, also höre ich nicht auf ihn. Ich konnte schlichtweg nicht wieder zum Training kommen, als sei nichts geschehen.
Marcel Heister: "Wir hätten uns gegenseitig erschlagen"
Durch die Verlängerung lief Ihr Vertrag noch ein Jahr. Sie hätten also eine ganze Saison nicht gespielt, wenn Sie das durchgezogen hätten. Hätten Sie?
Heister: Hundertprozentig. Die Fronten waren am Ende extrem verhärtet. Wenn wir uns gesehen hätten, wir hätten uns glaube ich gegenseitig erschlagen. Ich wäre lieber ein Jahr lang zu Hause gesessen, als noch einmal irgendwie auf ihn zuzugehen. Das ließ mein Stolz nicht zu.
Was für ein Typ ist Tabib denn?
Heister: Ein reiner Geschäftsmann, dem es nur um sein Geschäft geht. Er will nicht, dass sich jemand einmischt - kein Trainer, kein Manager und kein Vorstand. Er macht sehr deutlich, dass er der Chef ist und das Sagen hat. Im Grunde macht er auch die Aufstellung. Ich habe mich lange sehr gut mit ihm verstanden, er hat mich ja auch zu Beitar geholt. Es tat mir leid, dass wir im Streit auseinandergehen mussten. Ich war aber nicht der einzige Spieler, der unter ihm zu leiden hatte. Er war damals auch sehr umstritten, im Stadion forderten die Leute vehement seinen Rauswurf.
Wie gelang schließlich der Wechsel nach Budapest?
Heister: Die Sache ging über unsere Anwälte und artete in einen Rechtsstreit aus. Es ging hin und her. Irgendwann haben sie mir Vereine vorgeschlagen, zu denen sie mich verkaufen wollten. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich aber schon mit Thomas Doll telefoniert, der damals Trainer von Ferencvaros war. Ich war so dermaßen hin und weg von diesem Gespräch. Er hatte mich in nur zehn Minuten komplett überzeugt, zu ihm zu wechseln.
Wie ist ihm das gelungen?
Heister: Er hat eine total coole und sehr freundliche Art an sich. Ich sprach mit ihm wie mit meinem besten Kumpel. Er habe sich meine Spiele angeschaut, mochte meinen Spielstil und meinte, ich würde perfekt in sein System passen. Das gab mir sofort ein sehr positives Gefühl, so dass die Frage nicht war ob, sondern wann ich den Vertrag unterschreiben werde.
Wie sahen denn zwischenzeitlich die Rückmeldungen aus Deutschland aus: Gab es von dort auch Interesse an Ihnen?
Heister: Nein. Aus Deutschland kam nie etwas, was irgendwie offiziell gewesen wäre. Das waren immer nur ganz seichte Anfragen oder Interessenbekundungen. Es ist aber nie darüber hinaus gegangen oder zu einem Gespräch mit mir gekommen.
Als Sie Doll dann als Trainer kennenlernten, hat sich da Ihr positiver Eindruck bestätigt?
Heister: Voll und ganz. Er ist ein absoluter Kumpeltyp. Wenn man ihn kennt, mag man ihn einfach. Er saß oft mit uns Spielern in der Sauna und hat Witze gerissen. Im Grunde verhielt er sich außerhalb des Platzes wie ein Spieler. Auf dem Feld war er professionell und forderte sehr viel von uns, aber er wurde von wirklich jedem sehr gemocht und behandelte alle gleich.
Getty Images / Attila KisbenedekBild: Getty Images / Attila KisbenedekFünf Jahre lang war Doll bei Ferencvaros Trainer, 2016 gewann er die Meisterschaft. Sie arbeiteten jedoch nur sehr kurz mit ihm zusammen, da er bald nach Ihrer Ankunft trotz Tabellenführung entlassen wurde. Warum?
Heister: Ich kann über die genauen Gründe nichts sagen. Wir sind leider in Tel Aviv unglücklich aus der Europa-League-Qualifikation ausgeschieden. In der Liga haben wir aber die ersten vier Partien souverän gewonnen und anschließend ein Spiel unentschieden gespielt - und dann wurde er entlassen. Womöglich, weil den Verantwortlichen das internationale Abschneiden zu wenig war. Er hat mir echt richtig leid getan.
Seitdem steht Sergei Rebrow an der Seitenlinie. Unter ihm wurde die Meisterschaft mit 13 Punkten Vorsprung klargemacht. Es war der erste Titel Ihrer Karriere. Wie hat sich das angefühlt?
Heister: Das war für mich ein Riesending. Zunächst wurde im Stadion gefeiert, es gab ein Feuerwerk und die Leute waren alle aus dem Häuschen. Anschließend sind wir in einen Club gegangen und haben dort lange durchgehalten. Ich kannte es ja gar nicht, so souverän und dominant aufzutreten und die Meisterschaft zu gewinnen. Das war wunderschön, eine Bestätigung für mich und meinen Weg.
Marcel Heister über Zuschauer während der Corona-Pandemie
Ein Jahr später dasselbe Spiel, Ferencvaros wurde erneut mit 13 Zählern Vorsprung Meister. Dazu qualifizierte man sich im Sommer erstmals nach 25 Jahren für die CL-Gruppenphase, in der Sie nun auf Barcelona, Juventus und Dynamo Kiew treffen. Gegen Turin waren trotz steigender Corona-Zahlen in Ungarn 20.000 Zuschauer im Stadion, an die geläufigen Hygieneregeln wurde sich dabei kaum gehalten. Wie denken Sie darüber?
Heister: Es ist in der jetzigen Situation natürlich schwer nachvollziehbar, wenn sich Tausende dicht gedrängt in ein Fußballstadion begeben. Als Spieler freut man sich zwar über die gute Stimmung im Vergleich zu den Geisterspielen, aber die Regeln müssen einfach eingehalten werden. Zuletzt in der Liga hat das aber deutlich besser geklappt.
Sie werden als Spieler zwar regelmäßig getestet, aber wie gehen Sie mit der Pandemie in Ihrem Alltag um?
Heister: Ich bin wirklich sehr vorsichtig, weil ich unbedingt vermeiden möchte, mich anzustecken oder in Quarantäne zu müssen. Erst Recht jetzt, da die Champions-League-Spiele auf dem Programm stehen, denn die sind für jeden unserer Spieler eine einmalige Gelegenheit. Ich meide Restaurants oder Cafes und habe mir sogar eine Haarschneidemaschine gekauft, um nicht zum Friseur zu müssen. Meine Frau sagt, ich würde es übertreiben - aber die spielt ja auch nicht Champions League. (lacht)
In der Liga standen Sie fast immer in der Startelf, in Barcelona und gegen Juventus saßen Sie zunächst nur auf der Bank. Hat Sie das geärgert?
Heister: Nein. Unser Trainer hat auf jeder Position zwei Spieler zur Auswahl. Mein Konkurrent Eldar Civic ist jung, spielt Nationalmannschaft und kickt auf demselben Niveau wie ich. Wenn der Trainer ihn aufstellt, entscheidet er sich nicht gegen mich, sondern für ihn. In diesen Dingen bin ich mittlerweile deutlich reifer geworden und sehe das nicht mehr so eng. Ich bin über jede Minute dankbar, weil es für mich alles andere als normal ist, auf einmal in der Champions League aufzulaufen. Das war immer mein Traum. Daher wäre ich schön blöd, wenn ich jetzt daran herummäkeln würde.
Bei Barca gab es eine 1:5-Klatsche, Sie kamen 27 Minuten zum Einsatz. Wie war's?
Heister: Ich war total aufgeregt und konnte es am Spieltag nicht erwarten, bis wir endlich in dieses riesige Stadion kamen. Plötzlich stand ich da neben den Stars, mit denen ich immer bei FIFA auf der Playstation zocke. Ich weiß noch, wie ich einmal Messi beim Reden mit Dembele beobachtete und wie in eine Art Tagtraum verfiel. (lacht) Andere Leute würden alles dafür tun, einmal Messi oder Ronaldo nah zu sein. Und ich stehe mit denen auf dem Platz und muss schauen, dass sie mich nicht tunneln. Ich bin total glücklich, bei all dem dabei sein zu dürfen.
Marcel Heister über Messi und Ronaldo
Und wer hat das Messi-Trikot bekommen?
Heister: Ich hätte es schon gerne gehabt, aber da ja absehbar war, dass das jeder haben möchte, habe ich mich in weiser Voraussicht gleich gänzlich zurückgehalten. Er hat den anderen signalisiert, dass er es in den Katakomben überreichen wird, aber er ist dann direkt verschwunden.
Wie lief es nach dem 1:4 gegen Juve bei Ronaldo?
Heister: Mir kam er etwas angefressen und sauer vor. Er hat nur abfällig abgewunken, als er nach seinem Trikot gefragt wurde. Vielleicht, weil ihm kein Tor gegen uns gelungen ist. Oder aber, weil ich ihn beim Versuch eines Dribblings den Ball abgenommen habe. Das wurde auch fotografisch festgehalten, ich habe es bei Instagram gepostet. Das schönste Erlebnis meines Lebens. (lacht)
Ihr Vertrag in Budapest läuft 2021 aus. Wie sieht Ihre Zukunft aus?
Heister: Ich kann es nicht sagen, denn wir haben noch keine Gespräche geführt. Ich muss abwarten und weiß nicht, wie der Verein plan. Ich mache mir aber keinen Kopf, denn ich fühle mich hier sehr wohl.
Glauben Sie, dass Sie vielleicht doch noch einmal in der Bundesliga landen könnten?
Heister: Ich würde mich über ein Angebot aus Deutschland freuen, keine Frage. Die Bundesliga ist für mich aber kein Muss oder ein Argument, um alle anderen möglichen Türen sofort zu schließen. Ich hätte überhaupt kein Problem damit, ein gutes Angebot irgendwo aus dem Ausland anzunehmen und dafür eines aus der Bundesliga abzulehnen. Wenn es zu einer Vertragsverlängerung kommen sollte, würde ich mich freuen. Wenn nicht, geht es eben in ein neues Abenteuer. Sicher ist jedenfalls: Ich werde weiterhin meinen eigenen Weg gehen.