HINTERGRUND
Das Kapitel Arsenal ist für Mesut Özil nach mehr als sieben Jahren beendet. Der Rio-Weltmeister von 2014 wird in Zukunft für den türkischen Topklub Fenerbahce auflaufen. Wie ist der Wechsel zu bewerten?
Özil zu Fenerbahce: Die Perspektive von Arsenal
Dass Özil in London über das Ende seiner Vertragslaufzeit im Sommer hinaus keine Perspektive hat, war schon länger absehbar. Doch in der jüngeren Vergangenheit getätigte Aussagen des von Trainer Arteta ausgemusterten Spielers selbst und auch seines Beraters ließen eigentlich vermuten, dass der 32-Jährige seinen Vertrag weiter stur absitzen würde, auch wenn er kein einziges Mal mehr zum Einsatz kommen würde.
Aus finanzieller Sicht kann man Özil diesbezüglich keinen Vorwurf machen, schließlich gehört er weiterhin zu den bestbezahlten Spielern der Premier League und wurde ja nicht aus disziplinarischen Gründen ausgemustert.
Doch wie es scheint hat das Verlangen, endlich wieder auf dem Platz stehen zu dürfen, beim Spielmacher zu einem Umdenken geführt – sehr zum Glück der Gunners. Durch die vorzeitige Vertragsauflösung mit dem Top-Verdiener spart Arsenal ein bisschen Geld – und dürfte Mikel Arteta ein etwas ruhigeres Umfeld bescheren.
(C)Getty ImagesBild: Getty ImagesDenn obwohl Özil seit März 2020 keinen Einsatz mehr in der Premier League zu verzeichnen hat, war er regelmäßig Gegenstand von Journalistenfragen auf Pressekonferenzen – vor allem in sportlichen Krisenzeiten. Trainer Arteta verzichtete freiwillig auf einen Spieler, der in seiner Hochphase zu den kreativsten in der gesamten Liga gehörte. Stimmten die Ergebnisse nicht, waren Fragen nach Özil nur logisch.
"Arsenal ist mehr als erfreut, ihn vorzeitig losgeworden zu sein", schätzt Goals Arsenal-Korrespondent Charles Watts die Situation ein. "Sie sehen seinen Abgang als großen Bonus an, denn sie gingen fest davon aus, dass er bis zum Sommer bleibt. Die Erleichterung ist rund um den Klub spürbar. Özil war zuletzt nur eine Ablenkung, teilweise hat die Personalie den Klub sogar gespalten."
Özil-Wechsel: Die Perspektive von Fenerbahce
Während Arsenal als kleiner Gewinner aus der vorzeitigen Vertragsauflösung geht, scheint Fenerbahce mit der Verpflichtung des Weltmeisters von 2014 den Jackpot geknackt zu haben. Mit Özil bekommen die Istanbuler einen Top-Spieler für die Süper Lig – und das sogar ablösefrei und in gutem Fußballalter.
"Fenerbahce ist ein eitler Klub und liebt es, Spieler mit einem großen Namen zu holen", beschreibt Onur Özgen von Goal-Türkei den Wechsel aus Sicht des aufnehmenden Klubs. "Außerdem fordern die Fans immer begeisternden Fußball. Fasst man diese beiden Punkte zusammen, ist Özil ein Traum für den Verein. Sein Ruf ist groß und er verspricht große Unterhaltung."
Der Klub steht derzeit punktgleich mit dem Stadtrivalen Besiktas an der Tabellenspitze. Die letzte Meisterschaft datiert aus dem Jahr 2014. Sollte Özil, der bei seiner Ankunft in Istanbul betonte, körperlich topfit zu sein, sein Leistungspotenzial ausschöpfen können, könnte das lange Warten schon im Sommer ein Ende haben.
imago images / Depo PhotosBild: imago images / Depo PhotosDoch es gibt noch einen weiteren Grund, warum die Kanarienvögel nicht lange zögerten, den ehemaligen deutschen Nationalspieler an den Bosporus zu lotsen. Özil ist längst auch zu einer großen Marke geworden, folglich ergibt die Verpflichtung auch aus Marketingsicht mehr als Sinn.
Spätestens seit dem fatalen Erdogan-Foto unmittelbar vor der missratenen WM 2018, das Özil in Deutschland sehr große Kritik einbrachte, wird der Spielmacher in der Türkei von vielen Menschen geradezu verehrt. Vorbei die Zeiten, als der langjährige deutsche Nationalspieler von den türkischen Fans ausgepfiffen wurde, weil er sich für die deutsche Nationalmannschaft entschieden hatte.
Der Hype um den Transfer in der Türkei ist riesig, allein davon dürfte Fenerbahce abseits des Platzes profitieren. Dazu kommt Özil als potenzieller Süper-Lig-Superstar zum Nulltarif, die Chancen auf die Meisterschaft erhöhen sich und die Verpflichtung birgt großes wirtschaftliches Potenzial – auf den ersten Blick gleicht die Sache aus Istanbuler Sicht einem No-Brainer.
Wechsel von Arsenal zu Fenerbahce: Die Perspektive von Mesut Özil
Am spannendsten scheint der Wechsel aus Sicht des Spielers selbst. Bringt er seine Karriere mit dem Schritt in die Türkei noch einmal in Schwung oder ist es schon der erste Wink in Richtung Karriereende?
Es scheint ihn jedenfalls wieder in den Füßen zu kitzeln, so viel scheint nach der vorzeitigen Vertragsauflösung bei Arsenal sicher. Bevor er sich für Fenerbahce entschieden hat, dürfte sich Özil vermutlich drei Fragen gestellt haben: Suche ich mir einen ambitionierten Champions-League-Klub und wage einen letzten Anlauf, doch noch den Henkelpott zu gewinnen? Folge ich dem großen Geld und schließe mich einem Verein in den USA oder Katar an? Oder höre ich auf mein Herz und gehe zu dem Klub, mit dem mich so viel verbindet?
Auch in der Türkei wird er ein ordentliches Gehalt einstreichen. 14 Millionen Euro soll er Medienberichten zufolge bis 2024 verdienen. Bei Arsenal war er mit rund 21 Millionen Euro Brutto-Jahresgehalt allerdings in ganz anderen Sphären unterwegs. Doch während Kritiker davon sprechen, dass er seiner Weltkarriere mit dem Wechsel in eine kleine europäische Liga sportlich den letzten Sargnagel verpasst, bietet seine Entscheidung durchaus Nährstoff für Fußballromantiker.
Özil, der Schalker Jung, bekannte jüngst, seit seiner Kindheit Fan von Fenerbahce zu sein, seit jeher hat er eine große Bindung zum Heimatland seiner Eltern. In Istanbul wird er deshalb sogar die Nummer 67 auf dem Rücken tragen. Diese Zahl steht für die Provinz Zonguldak, aus der Özils Eltern einst nach Deutschland auswanderten.
Auch wurde Özil nie müde zu betonen, dass einzig Fenerbahce in Frage kommt, sollte es ihn im Laufe seiner Karriere einmal in die Süper Lig verschlagen. Es ist sein Verein in der Türkei, mit dem er nun versuchen will, zum Ende seiner Laufbahn noch ein paar Titel zu gewinnen.
Offenbar verspürt er große Lust, endlich wieder kicken zu dürfen. Er wird Arsenal und dem Rest der Welt zeigen wollen, dass es ein Fehler war, ihn monatelang auf der Tribüne schmoren zu lassen. Was er noch im Tank hat, werden die nächsten Monate zeigen. Doch ihn vorab für eine Herzensentscheidung zu kritisieren, ist unangebracht.