EXKLUSIV-INTERVIEW
Als langjähriger Co-Trainer von Ottmar Hitzfeld gewann Michael Henke alles, was es im Vereinsfußball zu gewinnen gibt. Später arbeitete er als Chefanalyst unter Trainer Jürgen Klinsmann sowie als Co-Trainer im Iran und in China. Im Interview mit Goal und SPOX lässt der heutige Sportdirektor des FC Ingolstadt seine Karriere Revue passieren.
Henke erzählt von falschen Vorurteilen gegenüber dem FC Bayern, seinen Job-Vermutungen bei Oliver Kahn sowie Hasan Salihamidzic und von Jürgen Klinsmanns revolutionärer Arbeit. Außerdem erinnert sich Henke an Lamm-Schlachtungen im Iran, seine Entlassung auf einem Flugplatz im Oman und vermeintlich nicht belastbare Chinesen.
Herr Henke, Sie waren erst bei Borussia Dortmund und dann beim FC Bayern München lange Jahre Co-Trainer von Ottmar Hitzfeld. Können Sie sich an Ihre erste Begegnung mit ihm erinnern?
Henke: Ja, sehr gut sogar. Ich war unter Horst Köppel schon vor Hitzfelds Ankunft Co-Trainer von Dortmund. Irgendwann im Frühling 1991 teilte mir Manager Michael Meier mit, dass Köppel den Verein zum Saisonende verlassen und Ottmar sein Nachfolger wird. Der Klub lud ihn zum letzten Saisonspiel ein, ich sollte ihn vom Düsseldorfer Flughafen abholen. Bei der Autofahrt von dort nach Dortmund hatten wir erstmals Kontakt und Zeit, uns ein bisschen auszutauschen. Unsere Ansichten über Fußball haben sich gedeckt und auch menschlich waren wir sofort auf einer Wellenlänge. Daran hat sich während unserer gemeinsamen Zeit nichts geändert.
War es Hitzfelds Wunsch, dass Sie als Co-Trainer im Amt bleiben?
Henke: Dortmund hat Ottmar bei den Verhandlungen schnell klargemacht, dass es schon einen Co-Trainer gibt und der auch im Amt bleiben soll. Da Ottmars Co-Trainer von seiner vorherigen Station Grasshoppers Zürich ohnehin in der Schweiz bleiben wollte, hatte er damit auch kein Problem.
Michael Henke: "Der FC Bayern kam mir arrogant vor"
Nach sieben erfolgreichen Jahren in Dortmund zogen Sie 1998 gemeinsam mit Hitzfeld zum FC Bayern weiter. Gab es Bedenken, zum großen Rivalen überzulaufen?
Henke: Der Ottmar kommt aus dem Süden und entsprechend war ihm der Wechsel auf emotionaler Ebene relativ egal. Mir als gebürtigem Westfalen fiel das schon schwerer: Dortmund ist schließlich mein Heimatverein und meine Kinder schliefen damals in BVB-Bettwäsche. Ich habe bei der Entscheidungsfindung aber versucht, nur auf beruflicher Ebene zu denken und in der Hinsicht konnte ich natürlich nicht ablehnen. Dortmund ist unter uns zwar wichtiger geworden und verfügt außerdem über das geilste Stadion Europas, aber der FC Bayern ist alleine wegen seiner Historie ein größerer Klub und wird das immer bleiben.
Wie reagierten Ihre Kinder auf den Wechsel?
Henke: Die waren damals zum Glück noch klein und beeinflussbar. Nach wenigen Wochen schliefen Sie schon in Bayern-Bettwäsche. Ich habe aber bis heute eine emotionalere Bindung zu Dortmund als zum FC Bayern.
Dortmund steht für den Herzblut-Slogan "Echte Liebe", der FC Bayern für das leicht arrogant angehauchte "mia san mia". Haben Sie in der alltäglichen Arbeit einen Unterschied zwischen den beiden Klubs festgestellt?
Henke: Aus der Distanz betrachtet kamen mir der FC Bayern und seine handelnden Personen tatsächlich arrogant vor. Dieses Vorurteil hat sich nach meinem Wechsel aber innerhalb kürzester Zeit zerschlagen. Uli Hoeneß, Franz Beckenbauer, Sepp Maier als Torwarttrainer, Gerd Müller als Co-Trainer der Amateure: Der FC Bayern war damals voll mit Fußball-Helden, die mir im persönlichen Umgang alle menschelnd und gar nicht arrogant begegnet sind. Der Umgang war wie in Dortmund.
Hoeneß war in seiner damaligen Funktion als Manager bekannt dafür, Spieler auch ohne Rücksprache mit dem Trainerteam in seinem Anwesen am Tegernsee zu empfangen. Wie fanden Sie das?
Henke: Es vermittelt immer ein komisches Bild nach außen, wenn ein Manager hinter dem Rücken des Trainers mit Spielern kommuniziert. Aber in diesem Fall war das sinnvoll, da Hoeneß stets im Sinne des großen Ganzen gehandelt hat. Mit seiner speziellen Art und Weise brachte er durch persönliche Gespräche viele Spieler zurück in die Spur. Insofern waren diese Aktionen oft sogar eine Hilfe für das Trainerteam.
imagoMichael Henke: "Am intensivsten litt Matthäus"
Ihre erste Saison beim FC Bayern endete mit dem so tragisch verlorenen Champions-League-Finale 1999 gegen Manchester United. Wer litt am längsten darunter, wer schaute am schnellsten nach vorne?
Henke: Am intensivsten litt sicherlich Lothar Matthäus. Bei seinem damaligen Alter war klar, dass er diese Chance wohl nicht nochmal bekommen wird. Der erste, der zumindest nach Außen hin seine Fassung wiederfand, war Ottmar. Wobei ich bis jetzt nicht weiß, ob das echt oder gespielt war.
Welche Strategien haben Sie sich überlegt, um die Mannschaft aufzurichten?
Henke: Zunächst war es wichtig, dass jeder in den Urlaub gefahren ist und Abstand gewonnen hat. In der Saisonvorbereitung hat Ottmar dann die Rolle eines Sportpsychologen übernommen und den Spielern in vielen Gruppen- und Einzelgesprächen vermittelt, dass es bei der Entstehung einer großen Mannschaft dazugehört, mit so einem Negativerlebnis umzugehen. Entscheidend war, dass er die Leader der Mannschaft wie Stefan Effenberg und Oliver Kahn mit diesem Ansatz relativ schnell erreicht hat. Um glaubwürdig zu bleiben, mussten dann nur mehr die Erfolge kommen.
Und die kamen. Zwei Jahre später folgte der Champions-League-Sieg im Elfmeterschießen gegen den FC Valencia.
Henke: Ich kann mich genau erinnern, dass ich den ganzen Tag lang komplett überzeugt von unserem Sieg war. Nie davor oder danach hatte ich in meinem Leben so eine Siegesgewissheit wie an diesem Tag. Vor dem Elfmeterschießen habe ich den Spielern gesagt: "Ist eh alles völlig egal. Ich weiß ohnehin, dass wir gewinnen." Die emotionale Explosion nach dem entscheidenden Elfmeter war aber trotzdem enorm.
Michael Henke: "Ich dachte, dass Brazzo ein guter Trainer wird"
Mit Kahn als angehendem Vorstandsvorsitzenden und Hasan Salihamidzic als Sportdirektor bekleiden aktuell zwei Spieler der damaligen Mannschaft Führungspositionen beim FC Bayern. Haben Sie bei den beiden schon damals das Potenzial für diese Rollen gesehen?
Henke: Bei Brazzo dachte ich immer, dass er später ein richtig guter Trainer wird. Er ist ein emotionaler Typ, der Menschen mitreißen kann. Das ist ihm als Spieler gelungen und ich denke, das wäre ihm auch als Trainer gelungen. Kahn war schon damals der Manager-Typ. Bei ihm habe ich damit gerechnet, dass er etwas außerhalb des Fußballs macht - so wie es zu Beginn seiner zweiten Karriere auch der Fall war.
Warum diese Vermutung?
Henke: Kahn hatte schon damals ganz vielfältige Interessen weit über sein eigenes Torwartspiel hinaus. Ihn haben eher die Dinge rundherum begeistert: wirtschaftliche und mentale Aspekte. Schon als aktiver Spieler hat er sich in dieser Hinsicht viel selbst beigebracht.
2004 verließen Sie den FC Bayern. Hitzfeld hat später erzählt, kurz vor einem Burnout gestanden zu haben. War Ihnen das damals bewusst?
Henke: Mir ist an seinem Gesicht und seinem Auftreten schon aufgefallen, dass er am Limit ist. Dass die Lage so ernst war, habe ich aber nicht wahrgenommen. Obwohl wir ein sehr vertrauensvolles Verhältnis pflegten und viel Zeit miteinander verbrachten, hätte er mir niemals von so persönlichen Dingen erzählt. Ottmar behält seine Probleme für sich und macht das mit sich selbst aus. Er ist von seiner Persönlichkeit her ein Grenzgänger und muss deshalb extrem aufpassen, diese Grenze nicht zu überschreiten.
Haben Sie ihn bei der zweiten Amtszeit von 2007 bis 2008 entspannter erlebt?
Henke: Es war zumindest etwas besser. Bei Ottmar ist es entscheidend, dass er zwischendurch seinen Tank neu aufladen kann. Ihm hat es damals auch gutgetan, dass er nicht direkt vom Cheftrainerposten in Dortmund zum FC Bayern gewechselt war. Das Zwischenjahr als Sportdirektor außerhalb der vordersten Schusslinie war sehr wichtig für ihn.
Michael Henke: "Bayern profitiert bis heute von Klinsmann"
Nach Hitzfelds Abschied 2008 blieben Sie beim FC Bayern und arbeiteten unter seinem Nachfolger Jürgen Klinsmann als Chefanalytiker. Wie haben Sie seine Ankunft in Erinnerung?
Henke: Klinsmann hat sofort viele neue Impulse reingebracht - und zwar längst nicht nur die Buddhas auf dem Dach. Innerhalb kürzester Zeit hat er einen Umbau des Vereinsgeländes vorangetrieben und in diesem Zuge Spieler-Aufenthaltsräume geschaffen, die bis heute bestehen. Er hat dafür gesorgt, dass die Spieler am Trainingsgelände ordentliches Essen und Zugang zu Sportpsychologen bekommen, dass ein vereinseigenes Fernsehstudio errichtet wird und dass eine Analyseabteilung entsteht. Klinsmann war seiner Zeit voraus. Er hat den FC Bayern in die Moderne geführt und davon profitiert der Klub bis heute. Vieles, was er angestoßen hat, ist heute nicht mehr wegzudenken.
Den Aufbau der Analyseabteilung haben Sie federführend geleitet.
Henke: Bis dahin gab es beim FC Bayern nur ein paar Scouts, die sich Spiele und Spieler angeschaut haben. Insofern war es eine spannende Aufgabe, eine koordiniert arbeitende Analyseabteilung aufzubauen. Im Vergleich zu heute aber auch deutlich aufwendiger, weil die technischen Voraussetzungen ganz andere waren.
Wie eng war Ihr Austausch mit Klinsmann?
Henke: Klinsmann war weniger Trainer, sondern eher Stabschef eines riesigen Trainerteams. Ich habe mich als sein Dienstleister gesehen, der ihn mit allen Infos zum nächsten Gegner versorgt. Der Kommunikationsprozess an sich war aber nicht optimal: Ich habe die Themen auf Deutsch ausgearbeitet, sie dann mit meinem mäßigen Englisch Klinsmann und seinem internationalen Trainerteam erzählt, die es dann an die Mannschaft weitergegeben haben. Bei so einem Prozess gibt es automatisch inhaltliche Verluste. Ich hätte die Ergebnisse meiner Arbeit der Mannschaft im Nachhinein betrachtet besser selbst vorgestellt. Das wäre aus meiner Sicht effektiver gewesen. Insgesamt sieht man an diesen Prozessen aber, wie komplex die Strukturen waren, mit denen Klinsmann schon damals arbeitete.
imagoKlinsmann wurde nach nicht einmal zehn Monaten entlassen. Konnten Sie diese Entscheidung des Klubs nachvollziehen?
Henke: Das ist ein normaler Vorgang im Fußball. Wenn die Ergebnisse nicht stimmen, geht die Überzeugung für jedes noch so interessante Projekt schnell verloren.
Anschließend arbeiteten Sie zunächst als Zvonimir Soldos Co-Trainer beim 1. FC Köln, ehe Sie in selber Rolle zum FC Esteghlal in den Iran wechselten. Wie kam dieses Engagement zustande?
Henke: Nach meinem Abschied aus Köln habe ich sehnsüchtig auf ein interessantes Angebot gewartet, aber es kam einfach nichts. Irgendwann kontaktierte mich ein iranischer Bekannter. Er hat lange in Deutschland gewohnt und war zu diesem Zeitpunkt zurück in Teheran. Als ich noch bei Köln arbeitete, wollte er mal vergeblich einen iranischen Nationalspieler bei uns unterbringen. Diesmal hatte er es sich in den Kopf gesetzt, mich als Co-Trainer zu Esteghlal zu holen. Ich habe immer wieder abgeblockt, aber er hat nicht aufgegeben. Weil nichts Besseres kam, habe ich irgendwann doch zugesagt.
Haben Sie es im Nachhinein bereut?
Henke: Nein, keine Sekunde. Wobei ich das Glück hatte, in einer Phase der Liberalisierung im Iran gewesen zu sein. Man durfte im Auto sogar mit offenem Fenster westliche Musik hören. Mir wurde erzählt, dass da ein paar Jahre vorher die Polizei gekommen wäre. Ich habe mich in Teheran frei gefühlt und hatte keine Probleme. Mein Berater meinte aber immer: "Sag' am Telefon nichts. Das wird sicher abgehört."
Wie ist die Stimmung in den iranischen Stadien?
Henke: Da gibt es eine große Bandbreite. Manche Erstligisten haben Stadien wie in der deutschen 3. Liga und kaum Fans, bei den großen Derbys gegen Persepolis kamen aber an die 100.000 Fans zu den Spielen. Besonders beeindruckend war, dass die Zuschauerkontingente immer 50/50 aufgeteilt wurden. Die eine Hälfte des Stadions war Esteghlal-blau, die andere Persepolis-rot. So etwas gibt es in Deutschland nicht. Irre war auch die Euphorie in der ganzen Stadt, als wir 2012 den Pokal gewonnen haben. Das war mit einem Doublesieg des FC Bayern nicht zu vergleichen.
Floss bei der Titelfeier auch Bier?
Henke: Nein, im Iran wagt es kein Spieler oder Fan, in der Öffentlichkeit einen Schluck Alkohol zu trinken. Das geht nur im privaten Rahmen hinter verschlossenen Türen. Wenn ich in einem Restaurant essen war, lautete meine Standard-Getränkebestellung immer: ein alkoholfreies Bier aus der Dose. Ähnlich rigoros wie das Alkoholverbot wird im Iran nur die Verschleierung der Frauen durchgesetzt. Sogar die deutschen Lufthansa-Stewardessen verschleiern sich, sobald sie iranischen Boden betreten.
Michael Henke: "Die Spieler gingen durch Lamm-Blut"
Welche Rolle spielt die Religion im Fußball?
Henke: Eine sehr große. Beim Abschlusstraining vor jedem wichtigen Spiel kam ein Geistlicher auf den Trainingsplatz und hat dort ein Lamm abgestochen. Anschließend gingen die Spieler mit ihren Fußballschuhen durch das Blut auf den Trainingsplatz. Das sollte göttlichen Beistand bringen. Abends haben sie das Lamm dann zubereitet und gegessen.
Mussten Sie bei diesen Ritualen mitmachen?
Henke: Nein. Ich habe mich immer im Hintergrund gehalten und weggedreht, sobald es so weit war.
Wurde in der Kabine gebetet?
Henke: Ja, vor der Traineransprache haben sich die Spieler immer Richtung Mekka gedreht und gebetet. Ich fand es erstaunlich, dass sie immer die exakte Richtung wussten. Irgendwann habe ich danach gefragt und dann haben sie mir erklärt, dass es in jedem Raum in irgendeiner Ecke einen kleinen Pfeil gibt, der Richtung Mekka zeigt.
Was ist Ihnen aus der Zeit im Iran noch in Erinnerung geblieben?
Henke: Als ich auf einem Flugplatz im Oman entlassen wurde. Wir waren gerade auf dem Weg zu einem Spiel der asiatischen Champions League und sind im Oman zwischengelandet. Bis ich mein Gehalt bekam, musste ich meistens ein bisschen Druck machen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Zahlungen mal wieder wochenlang in Rückstand und deshalb habe ich ganz ruhig das Gespräch mit dem Präsidenten gesucht. Völlig aus dem Nichts eskalierte es aber und er schrie: "Hier bestimme ich, wann gezahlt wird! Und Du bist entlassen!" Da ich unbedingt beim Champions-League-Spiel dabei sein wollte, bin ich trotzdem mit dem Tross weitergeflogen. Am nächsten Morgen kam der Präsident zu mir und meinte, dass ich doch weitermachen darf und bei der Rückkehr in Teheran mein Gehalt bekommen würde. Dann hat er mich in sein riesiges Bürogebäude bestellt und mir das Geld in bar in die Hand gedrückt.
Michael Henke: "Chinesen halten sich selbst nicht für belastbar"
Die Zeit im Iran war nicht Ihr einziges internationales Abenteuer: 2018 arbeiteten Sie ein Jahr lang als Co-Trainer des chinesischen Super-League-Klubs SH Shenhua aus Shanghai. Inwiefern unterscheiden sich der iranische und der chinesische Fußball?
Henke: In China läuft zwar alles professioneller ab und es ist mehr Geld im Spiel, fußballerisch ist der Iran aber trotzdem weit besser.
Woran liegt das?
Henke: Das Hauptproblem ist die generelle Mentalität der Chinesen, die auch durch die Ausbildung bedingt ist. Es geht nur darum, Abläufe zu optimieren und unendlich oft zu wiederholen. Kreativität spielt keine Rolle. In manchen Sportarten, wie zum Beispiel im Tischtennis, funktioniert das. Wenn man tausendmal seinen Vorhandschlag wiederholt, wird er besser. Beim Fußball geht es aber auch um das Zusammenspiel mit Kollegen und das räumliche Denken. Da funktioniert dieser Ansatz nicht. Das zweite Problem ist, dass sich die Chinesen selbst nicht für belastbar halten. Wenn ich dem chinesischen Cheftrainer härteres Training empfohlen habe, hat er immer nur gesagt: "Michael, das geht nicht, das sind wir nicht gewohnt. Chinesen müssen viel schlafen, gut essen und dürfen nicht zu viel trainieren." Das halte ich für eine Ausrede.
In den vergangenen Jahren wechselten etliche ausländische Top-Spieler für viel Geld nach China. Hat das den Fußball weitergebracht?
Henke: Internationale Einflüsse sind generell etwas Gutes. Die chinesische Herangehensweise in dieser Hinsicht ist aber bescheuert, weil die falsche Sorte Spieler verpflichtet wird. Ich habe den Verantwortlichen meines Klubs immer gesagt: "Wenn ihr schon viel Geld für Legionäre ausgeben wollt, dann holt wenigstens Spieler, die die Chinesen weiterbringen und nicht nur zum Toreschießen da sind. Holt keine südamerikanischen Stürmer, sondern skandinavische Verteidiger." Bei vielen Legionären merkt man außerdem, dass sie nur zum Geldverdienen da sind.
Wie war das bei Ihrer damaligen Mannschaft?
Henke: Mit Demba Ba und Obafemi Martins hatten wir zwei ausländische Vollprofis, die in der Mannschaft auch entsprechend angesehen waren. Dann gab es aber noch zwei Kolumbianer, die es äußerst locker angehen ließen und nicht mehr bereit waren, an Leistungsgrenzen zu gehen. Solche Spieler bringen den chinesischen Fußball nicht weiter .
Die Legionäre verdienen in China deutlich mehr als die einheimischen Spieler. Herrschte innerhalb der Mannschaft eine Neidkultur?
Henke: Kein chinesischer Spieler würde das jemals offen aussprechen, aber ich habe schon einen gewissen Neid gespürt. Gleichzeitig muss man aber auch die Leistungen auf dem Platz sehen und da hängt alles von der Qualität und der Einstellung der Legionäre ab. Damals gab es einen Pokalwettbewerb, bei dem wir nur mit chinesischen Spielern antreten durften. Und da standen sie komplett hilflos auf dem Platz, haben sich umgeschaut und mit ihren Blicken gefragt: "Wo ist die ausländische Nummer 10, der ich den Ball wie sonst auch immer geben kann?"