HINTERGRUND
Es ist das wichtigste Spiel der Saison – und Lionel Messi sitzt nur auf der Bank. Unvorstellbar. Was beim Superstar des FC Barcelona bislang noch nie vorgekommen ist, ist beim Nachwuchs der Katalanen Ende April passiert: Im Halbfinale der UEFA Youth League, der Königsklasse für Jugendteams, musste Barca gegen den späteren Sieger RB Salzburg in Nyon ran – und mit Seung-Woo Lee saß bei der 1:2-Niederlage und dem damit verbundenen Aus der junge Mann 90 Minuten lang auf der Bank, der schon seit Jahren als Messi-Nachfolger in Spanien und vor allem in seiner Heimat Südkorea gehandelt wird.
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Es war der Höhepunkt einer Entwicklung – oder, wenn man so will, einer Nicht-Entwicklung. Die Verbannung auf die harte Ersatzbank durch den Ex-Barca-Spieler und jetzigen B-Team-Coach Gabri war in jedem Fall ein Zeichen. Ein Zeichen, dass es bei Lee auf keinen Fall mehr automatisch in Richtung erster Mannschaft, in Richtung Messi, in Richtung Weltstar läuft. Stattdessen läuft es wohl eher auf einen Wechsel hinaus, einen mindestens zeitweiligen Abschied aus Spanien, damit der Koreaner in einer anderen Liga Erfahrung, Selbstvertrauen und Spielpraxis sammeln kann.
Dass es der Dribbler, der meist auf dem linken Flügel aufläuft, durchaus noch draufhat, bewies er zuletzt im Trikot seiner Nationalmannschaft bei der U20-WM. Bei diesem Turnier soll er auch nach Informationen der Bild den Scouts von Borussia Dortmund erneut positiv aufgefallen sein, sodass über einen Wechsel in die Bundesliga spekuliert wurde.
Seung-Woo Lee im Nationaltrikot Koreas
Vor sieben Jahren machte Lee zum ersten Mal mächtig Eindruck: 2010 glänzte er als 12-Jähriger beim Danone Cup, dem größten Jugendturnier der Welt für seine Altersklasse. Barcelona-Scout Albert Puig notierte sich den Namen und leitete sofort den Transfer ein. Ein Jahr später tauchte Lee dann bei Barca auf und zeigte, dass er keinerlei Anpassungsschwierigkeiten hat: Er erzielte in 29 Spielen 39 Treffer für Barca – und brach damit den Rekord eines gewissen Lionel Messi.
Zwei Jahre ohne Pflichtspiel mit dem Klub
2014 folgte dann aber ein großer Rückschlag für Lee, denn die FIFA verhängte eine Sperre wegen des unerlaubten Transfers eines Minderjährigen. Zwei Jahre lang durfte er kein offizielles Spiel für die Katalanen bestreiten, nur für sein Nationalteam lief Lee in dieser Zeit auf. Wichtige Vergleiche mit Gleichaltrigen, wichtige Spielpraxis ging ihm verloren. Seit seinem 18. Geburtstag 2016 darf er wieder für Barcelona ran – doch es läuft auf einmal nicht mehr so rund wie noch zuvor.
Lee ist, wie es der Messi-Vergleich schon andeutet, ein kleiner, flinker Spieler mit einer starken Ballführung, der ohne Probleme an Gegenspielern im Eins-gegen-Eins vorbeigehen kann. "Seung-Woo Lee ist einer der besten jungen Spieler in Asien. Er hat hart an sich gearbeitet und es macht Spaß, ihm zuzusehen", sagte Koreas Fußball-Idol Ji-Sung Park FourFourTwo 2016. Mittlerweile ist allerdings auch klar geworden, dass es der Flügelspieler deutlich schwerer hat, wenn ihn körperlich überlegene Abwehrspieler hart attackieren und ihm keinen Raum und keine Zeit lassen, damit er sich die Gegner wie Slalomstangen vor sich aufbauen und dann umkurven kann.
Deswegen fand er sich zuletzt oft auf der Bank wieder – und im Sommer steht nun für den 19-Jährigen eigentlich der Sprung aus der Jugend in die B-Mannschaft Barcelonas an, die auf dem Weg in die zweite spanische Liga ist. Mit dem Sprung in das B-Team würde Lees Ausstiegsklausel von drei auf zwölf Millionen Euro nach Informationen von Sport ansteigen, weshalb Barcelona aus finanziellen Gründen durchaus daran interessiert sein wird, den Koreaner nicht schon jetzt abzugehen, sondern eine Leihe favorisiert.
Aus der Traum
Dass ausgerechnet ein Klub wie Borussia Dortmund nun mit Lee in Verbindung gebracht wird, verwundert allerdings schon ein wenig. Der BVB ist auf den Flügelpositionen grundsätzlich gut besetzt, auch wenn Marco Reus mit einer Kreuzbandverletzung länger ausfällt. Mit Emre Mor haben die Schwarz-Gelben einen Spielertypen, der Lee sehr ähnlich ist – und der sich in seinem ersten Jahr in der Bundesliga sehr schwertat. Warum nun Lee, dem in Spanien nicht mehr unbedingt das Durchstarten auf das höchste Niveau zugetraut wird, in Dortmund Fuß fassen sollte, ist eine Frage, die schwer zu beantworten ist.
Vom Traum, der nächste Messi zu werden, hat sich Seung-Woo Lee inzwischen schon verabschieden müssen. Während er mit 19 um seine Einsatzzeiten kämpfen muss und vor einer unsicheren Zukunft steht, hat der Argentinier im gleichen Alter schon seine ersten Einsätze in der Champions League hinter sich gebracht – und in der Liga 14 Saisontreffer erzielt. Dass aus dem Koreaner allerdings noch ein starker Fußballspieler wird, ist noch lange nicht ausgeschlossen. Auch wenn es am Ende nicht für Barcelona oder den BVB reicht.